Die Gabe der Zeichnerin: Historischer Roman (German Edition)
anzuhören.
»Er hat mit dem Bau seiner Moschee noch nicht einmal begonnen?«, fragte Harun ungläubig.
»Nein. Es heißt, er möchte seinem Gott einen ganz besonderen Tempel errichten, der die anderen Bauten seiner Pfalz in den Schatten stellt, ein so prächtiges Gotteshaus, wie es im Frankenland bislang noch keines gibt!«
Aus Furcht, jetzt zu viel Begeisterung für ein christliches Gebäude in seine Stimme gelegt zu haben, hob Isaak den Blick zur exquisit ausgemalten Kuppel, deutete mit dem ausgestreckten Zeigefinger seiner rechten Hand nach oben und setzte hastig hinzu: »Aber kein Franke wird je eine solche Kuppel wölben können.«
Sein letztes Wort war kaum verhallt, als sich Todesangst in ihm breitmachte. Innerhalb eines Wimpernschlags hatte er die Vorschriften gleich mehrmals übertreten: Er hatte den Blick vom Kalifen abgewendet, den Arm bewegt und die Stimme ungefragt heraussprudeln lassen.
Der Kämmerer neben ihm hielt immer noch die Luft an.
Dem Kalifen jedoch schien diese ungeheuere Verletzung der Etikette entgangen zu sein. Auch sein Blick ruhte auf der Wölbung der Kuppel.
»Da hast du zweifellos recht, Jude«, sagte er nachdenklich. »Aber es muss ja kein Franke sein.«
Der Kalif schwieg eine lange Zeit. Als er endlich wieder sprach, spielte ein Lächeln um seine Lippen.
»Außer dem Pfeil, der den Bogen verlassen hat, sind noch zwei weitere Dinge unwiederbringlich: das zu schnell gesprochene Wort und die verpasste Gelegenheit. Dein zu schnell gesprochenes Wort, Jude, sei dir verziehen, denn es weist mir den Weg zu einer Gelegenheit, die ich nicht verpassen werde.« Er wandte sich an den Kämmerer. »Schaffe sofort Yussuf ibn Yakub herbei.«
Den fragenden Blick Isaaks beantwortete der Kalif mit einer Handbewegung, die ihm bedeutete, hocken zu bleiben.
»Du bist nicht verabschiedet, Jude«, sagte er, »denn du hast mir noch viel über diesen König Karl und sein Reich zu erzählen. Mein treuer Baumeister wird auch zuhören. Er soll alles wissen, was du auch weißt. Stelle dich gut mit ihm, denn ich werde euch auf eine lange gemeinsame Reise entsenden.«
kapitel 1
der auftrag
Rette dein Leben, wenn dir vor Unheil graut!
Lasse das Haus den beklagen, der es erbaut.
Du findest schon eine Stätte an anderem Platz.
Für dein Leben findest du keinen Ersatz.
Lass dich in wichtiger Sache auf Boten nicht ein;
In Wahrheit hilft die Seele sich ganz allein.
Des Löwen Nacken ist so kräftig nicht,
Solange es ihm an Selbstvertrauen gebricht.
Aus 1001 Nacht (die 21. Nacht)
konstantinopel, spätherbst 794
A ngesichts seines überaus griesgrämigen Begleiters blieb Isaak nur das Selbstgespräch. Ein geselliger Gefährte hätte mir die Reise auf diesem elendig langsamen Schiff angenehm verkürzt, murrte er also vor sich hin, als die im Mittagslicht glitzernde Kuppel der Hagia Sophia oberhalb der mächtigen Schutzmauern des Hafens auftauchte. Ein Anblick, der jedem Neuankömmling den Atem stocken ließ.
Sogar Yussuf ibn Yakub schien beeindruckt. Das Lächeln, das zum ersten Mal in seinen Mundwinkeln lauerte, ermutigte Isaak zu einer Frage: »Wirst du dem Frankenkönig ein solches Wunderwerk erbauen?«
Der Fernhändler rechnete nicht mit einer Antwort. Er war ein halbes Menschenalter lang durch die Welt gezogen, aber noch nie zuvor in derart maulfauler Begleitung. Yussuf hatte in den vergangenen beiden Monaten nur das Notwendigste gesprochen, dabei aber niemals etwas über sich oder seinen seltsamen Sohn verlauten lassen, und der wiederum machte den Mund nur zum Essen auf.
Der Knabe sei ein Jahr zuvor verstummt, hatte Dunja, die bulgarische Haussklavin des Baumeisters, Isaak vor der Abreise zugeraunt. Ezras Stimme sei nicht wie bei anderen Knaben seines Alters gebrochen, sondern von einer zur anderen Stunde gänzlich zerbrochen. Laute könne er zwar ausstoßen, diese aber nicht mehr zu Worten formen. Er verständige sich durch Zeichen und Zeichnungen – Letztere fertige er äußerst kunstvoll für den Vater an, dessen rechte Hand er sei. Dunja hatte bedeutungsvoll zu Yussufs verkrüppeltem Arm hin genickt. Mehr erfuhr Isaak nicht, denn im weiteren Verlauf der Reise gab sich auch die Sklavin jenem Schweigen hin, das den Haushalt des Baumeisters zu kennzeichnen schien.
Der sprach jetzt. Fünf Worte, die Isaak wie ein Peitschenschlag trafen: »Hier trennen sich unsere Wege.«
Isaak hob entgeistert die Arme.
»Was meinst du damit? Sollen wir hier überwintern? Aber dann erreichen wir Aachen zu
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