Die Gefangenen des Korallenriffs
unterlegen. Deshalb tat er, als sei es für einen König der Tiere unter der Würde, sich in einen länger währenden Kampf einzulassen. Hatte es beim ersten Mal nicht geklappt, würde er den Gegner lieber in Gnaden entlassen. Zumal er einem Gast gegenüber nicht mal seine Zähne einsetzen und ihm die Tentakel abbeißen durfte – das wäre unschicklich gewesen. Genau genommen, wäre er binnen weniger Sekunden den festen Umarmungen des Kraken erlegen.
Die Begegnung zwischen Grau und den Männern fiel dagegen sehr herzlich aus. Der Jäger Kusmitsch fühlte sich von Anfang an zu dem Löwen hingezogen. Er überlegte insgeheim, ob er ihn bei einer Begegnung in der Taiga wohl würde bezwingen können. Immerhin war Grau ein ganzes Stück größer als ein Bär, da mußte er sich schon tüchtig anstrengen.
Charlie Black dagegen wich keinen Schritt von dem Kraken. Was konnte es auch Angenehmeres für einen Seemann geben als eine ihm verwandte Seele, einen Meeresbewohner!
Der Geologe Viktor Stepanowitsch wiederum war von den Jungen aus Atlantis angetan. Ohne Zweifel konnten sie ihm einiges über ihre Insel erzählen. Wer wußte, ob sie nicht vielleicht sogar die Inschriften auf jenem Stein zu entziffern vermochten, den er unterwegs gesehen hatte und dessen Schriftzeichen für die Gelehrten der Erde bisher ein Buch mit sieben Siegeln darstellten.
Was aber Kostja betraf, so wandte der keinen Blick von Charlie Black. Großvater Grigori hatte ihm früher viele Geschichten aus dem Zauberland erzählt, und nun mußte man sich das mal vorstellen – der Einbeinige Seemann in höchsteigener Person! Der Großonkel von Chris Tall, der Onkel von Elli, der Fee des Tötenden Häuschens, und ihrer Schwester Ann! Jemand, der leibhaftig in der Smaragdenstadt gewesen war, alles dort mit eigenen Augen gesehen, den Bewohnern in ihrem Kampf mit Urfin Juice und der Riesin Arachna geholfen hatte. Da sollte noch einer kommen und behaupten, das wären bloß Märchen! Und Kostja dachte gleich weiter: Vielleicht ließ sich Charlie Black durch einiges Bitten erweichen und nahm ihn mit. Das wäre eine einmalige Gelegenheit, das Zauberland kennenzulernen. Eine klitzekleine Woche würde ihm schon genügen.
Es war auch klar, daß die Sympathie auf Gegenseitigkeit beruhte. Charlie Black hatte den Jungen sofort ins Herz geschlossen, denn er erinnerte ihn sehr an seinen Enkel Chris Tall.
Die beiden Atlantis-Jungen aber freuten sich über all ihre neuen Bekannten gleichermaßen. Sie hatten es ziemlich satt, die ganze Zeit allein im Elming zu hausen, auch wenn ihnen der Löwe ab und zu etwas Abwechslung verschaffte.
Mit einem Wort, der Trupp, der sich da zusammengefunden hatte, verstand sich bestens. Deshalb beschlossen sie, noch einen Tag zu bleiben.
Sie unterhielten sich noch, da fiel ihnen plötzlich auf, daß mit Charlie Black etwas Merkwürdiges vor sich ging. Er rutschte unruhig auf seinem Platz hin und her, erstarrte im nächsten Moment, lauschte in sich hinein und sagte dann polternd:
»Bei allen Haien der Weltmeere, seit eins dieser netten Tiere mir das halbe Bein abgerissen hat, hab ich mich noch nie so sonderbar gefühlt! Damals taten mir ständig die Zehen weh, obwohl die ja gar nicht mehr da waren – am Seeigel soll dieser verdammte Fisch ersticken! Und jetzt hab ich auf einmal dieselbe Empfindung. Mir ist, als wäre das Bein wieder dran, als wär es heil und unversehrt.«
Der Krake gab ein zufriedenes Grunzen von sich:
»Scheint es also zu klappen. Ich hab mir gedacht, wenn der Eidechse ein neuer Schwanz wachsen kann, wieso dann nicht einem Menschen die Gliedmaßen? Ihr wißt ja, daß wir Achtfüßer hypnotische Kräfte besitzen. Die hab ich eingesetzt, um ein bißchen nachzuhelfen. Du kannst deinen Holzstecken künftig ruhig in die Ecke werfen, Charlie! Freu dich an deinen zwei gesunden Beinen!« Prim blähte sich stolz.
Und ehe die anderen noch etwas erwidern konnten, fuhr er fort:
»Es war eigentlich ziemlich einfach, und weißt du auch, warum? Weil du eine Art Geist bist, ein Elm! Ich hab dir mit all meiner Energie eingegeben, das abgerissene Bein zu vergessen, dich stattdessen daran zu erinnern, wie gut du dich gefühlt hast, als es noch dran war. Ist doch Ehrensache, hab ich mir gedacht, einem Freund wie diesem Seefahrer ein bißchen zu helfen.«
»Ein bißchen helfen ist gut!« sagte Charlie gerührt. »Bei allen Klippen und Sandbänken, das werd ich dir nie vergessen! Du mit deinen acht Füßen kannst das ja kaum nachfühlen
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