Die geheime Reise der Mariposa
Uwe der Wasserleguan. Und nach Uwe trat José aus dem Wald, im Arm den Pinguin Oskar, auf seiner Schulter den Blaufußtölpel. Marit lief ihm entgegen.
»José!«, rief sie. »Ein Glück, dass Loco dich gefunden hat! Es ist alles so unglaublich! So unglaublich unglaublich!«
Julia kam ihr nachgerannt. »Hallo, José!«, rief sie und, über die Schulter, auf Deutsch: »Mama, Papa! Wollt ihr nicht Marits Bruder Hallo sagen?«
José war zwischen den Beeten stehen geblieben. Marit konnte seinen Gesichtsausdruck nicht deuten. Sie blieb ebenfalls stehen, plötzlich unsicher. Als sie sich umdrehte, standen Mama und Papa hinter ihr. Felipe war auf der Veranda geblieben.
»Das«, sagte Marit, »sind meine Eltern. Sie sind es, die hier wohnen. Nur sie. Sie sind gar nicht verbrannt, damals, bei dem Bombenangriff …«
»In London«, sagte José, und sie hörte, dass er es nicht länger glaubte. Julia hatte deutsch gesprochen.
»In Hamburg«, sagte Mama sanft. »Es war Hamburg, in Deutschland. Wir müssen eine Menge erklären. Komm doch und setz dich zu uns auf die Veranda.«
José sah von Marit zu ihren Eltern, zu Julia und zurück zu Marit. »Deutsche«, sagte er dann. Er spuckte ihr das Wort vor die Füße wie einen Schluck Gift. »Ihr seid Deutsche. Du hast mich belogen. Die ganze Zeit.«
»Ich …«, begann Marit. Aber sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Es musste etwas geben, irgendetwas, das richtig war, doch es fiel ihr nicht ein, und so hob sie nur hilflos die Arme.
»Die Funkstation der Deutschen ist hier«, sagte José. »Wie ich gesagt habe. Und dein Vater betreibt sie.«
»Nein!«, rief Marit. »Was für ein Unsinn!«
»Wir haben eine Farm, José«, sagte Papa. »Oder den kläglichen Beginn einer Farm. Mais und Gemüse. Ein paar Hühner. Das ist alles. Wir haben nichts mit dem Krieg zu tun. Ich bin vor dem Krieg weggelaufen. Die Deutschen würden mich töten, wenn sie es wüssten.«
José trat einen Schritt zurück.
»Nein«, sagte er, »nein, das glaube ich nicht. Ich bin die ganze Zeit belogen worden. Warum sollte mir jetzt jemand die Wahrheit sagen? Marit hat mir erzählt, Sie wären tot, und ich habe ihr geglaubt. Ich hatte Mitleid mit ihr. Ich Idiot.«
»Aber ich dachte doch, sie wären tot!«, rief Marit verzweifelt. »Ich dachte es bis vor ein paar Stunden! Es ist alles so kompliziert, ich …« Und endlich fiel ihr ein, was sie sagen musste. Die Worte, die José dazu bringen würden, mit auf die Veranda zu kommen und sich alles in Ruhe anzuhören.
Sie streckte eine Hand nach ihm aus. »Mein dummer Bruder«, sagte sie. »Es ist doch ganz egal, ob ich Engländerin bin oder Deutsche oder Chinesin. Ich bin deine Schwester.«
José starrte ihre Hand an. Er nahm sie nicht. Er schüttelte den Kopf.
»Du bist nicht meine Schwester«, sagte er und ging noch einen Schritt rückwärts. »Ich dachte einmal, du wärst es. Aber du bist es nie gewesen.«
Damit drehte er sich um und rannte in den Wald. Das grüne Dunkel nahm ihn auf, und Marit sah nicht, welche Richtung er einschlug. Sie stand zwischen den Beeten der wunderbarsten kläglichen Farm der Welt, zusammen mit Julia und Mama und Papa. Und dennoch fühlte sie sich so allein wie noch nie.
Lied des Menschen
Ich bin der Mensch. Das reicht.
Das Leben ist nicht leicht.
Ich brauche ein Ziel und einen Sinn.
Ich muss erst beweisen, dass ich bin.
Ich töte und richte. Ich streite und schlichte.
Ich mache zunichte, was ich errichte,
ständig verlierend, was ich gewinne.
Ich schreibe in allem, was ich beginne,
Geschichte.
Ich bin immer der Jüngste gewesen.
Das jüngste von allen Lebewesen,
an Land, in der Luft und im Meer.
Ach, wenn es anders wär!
Ich denke und denke und komm nicht zur Ruh,
ich hab mich zerdacht in ein Ich und ein Du.
Die hassen und lieben sich, jauchzen und klagen,
die fragen sich ständig und fragen und fragen:
Wozu?
Era un héroe
Er war ein Held
S
päter dachte Marit, dass alles anders gekommen wäre, wenn …
Wenn sie José nicht nachgegangen wären. Wenn sie ihm Zeit gelassen hätten. Wenn sie einfach gewartet hätten. Wenn sie auf Felipe gehört hätten.
»Lasst ihn«, sagte Felipe, der noch immer auf der Veranda stand. »Der kommt wieder. Wenn nicht heute, dann morgen. Und wenn nicht morgen, dann irgendwann.«
»Aber wann ist irgendwann?«, rief Marit. »In einer Woche? In einem Monat? Was ist, wenn ihm etwas passiert? Wenn er irgendetwas Dummes tut?«
»Irgendwann ist irgendwann«, sagte Felipe. »Du
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