Die geheime Reise der Mariposa
endlich die Erklärungen.
»Vielleicht sollten wir am Anfang Folgendes klarstellen«, sagte Papa. »Keiner von uns ist tot.«
Alle nickten.
»Meine Maschine ist wirklich 1941 abgeschossen worden«, fuhr Papa fort. »Nahe der Grenze, auf französischer Seite. Aber ich habe den Absturz überlebt. Ein Bauer hat mich aus den schwelenden Trümmern des Flugzeugs gezogen, kurz bevor der Tank explodiert ist. Die Leute in seinem Dorf haben mich gepflegt. Sie sagten, ich solle bleiben, bis der Krieg vorüber wäre. Ich sagte, ich wolle nach Hause. Ich müsse nach Hause. Es war eine lange Reise. Eine Reise in falschen Kleidern unter falschem Namen. Dein Vater ist ein Deserteur geworden, Marit, einer, der vor dem Krieg weggelaufen ist. So einen hängen sie auf, wenn sie ihn erwischen.«
Marit lächelte. »Das mit den falschen Kleidern kommt mir bekannt vor«, sagte sie. »Waterweg und ich haben die gleiche Sorte Reise gemacht. Bis Spanien war ich noch Marit und von da an war ich eine lange Zeit Jonathan Smith.«
»Waterweg?«, fragte Mama. »Meinst du Tom? Meinen Bruder?«
Marit nickte.
»Er hat dich hergebracht? Das verstehe ich nicht. Er ist einer von ihnen. Ein Nazi.«
»Ja«, sagte Marit. »Und ein Spion. Deshalb ist er hier. Um eine Karte in Empfang zu nehmen, die jemand anders von der amerikanischen Militärbasis gezeichnet hat. Mir hat er erzählt, er würde mich herbringen, weil es dein Traum war, die Galapagosinseln zu sehen. Ich hasse ihn. Er hätte beinahe José getötet. Aber das erzähle ich alles später.« Sie legte eine Hand auf das Knie ihres Vaters. »Was ist dann geschehen?«
Papa nahm ihre Hand in seine. »Dann stand ich eines Nachts vor unserem alten Haus in Hamburg. Ein Deserteur ist ein Geschöpf der Nacht. Niemand darf ihn sehen. Mama hat mich im Holzschuppen versteckt. Es war gefährlich, viel zu gefährlich. Aber es war die einzige Möglichkeit. In der Wohnung war zu wenig Platz, und dort hätten sie auch zuerst gesucht, wenn sie Wind von der Sache bekommen hätten. Ihr durftet nicht wissen, dass ich da bin, Julia und du. Es war auch so riskant genug. Die Schuppenschlüssel des ganzen Hauses verschwanden auf einmal. Mama hat dafür gesorgt, dass sie verschwanden.«
»Unseren Schlüssel habe ich eine Weile im Hof versteckt«, sagte Mama. »Eine dumme Idee. Richard hat ihn gefunden. Von da an habe ich ihn immer bei mir getragen.«
»Weißt du noch, Marit, wie Richard den Schuppen aufschloss?«, fragte Papa. »Als du in den Schuppen kamst … Ich war dir so nah … Nur das Regal mit den Einmachgläsern stand zwischen uns. Und dann versuchte Richard, dich zu küssen. Ich hätte mich gern auf ihn gestürzt und ihn verprügelt. Aber wenn Richard mich gesehen hätte, wäre das mein Ende gewesen. Ich habe von hinten ein paar Gläser vom Regal gestoßen, das war alles, was ich tun konnte. Ich hatte schreckliche Angst, ich dachte, Frau Adam würde in den Schuppen kommen und mich finden. Aber ich hatte Glück. Ich hatte so oft Glück.«
»Was hast du die ganze Zeit gemacht, im Holzschuppen?«, fragte Marit.
»Gelesen«, sagte Papa. »Ich habe das Buch über Galapagos gelesen, das von Mamas altem Professor. Ab und zu hat sie es mir wieder abgenommen und euch daraus vorgelesen. Das Buch war wie eine geheime Verbindung zwischen euch und mir. Mama hat sich immer gewünscht, ich wäre so wie dieser Professor. Mutig genug, fortzugehen und auf irgendwelchen Inseln neu anzufangen …«
»Das ist nicht wahr«, sagte Mama. »Ich wollte nicht, dass du bist wie er. Ich wollte nur zu den Inseln.«
»Ja«, sagte Papa, »und eines Tages haben wir entschieden, dass wir es versuchen würden. Mitten im Krieg. Es war ein verrückter Entschluss. Aber in Frankreich hatte ich von der Mission Nachtfalter gehört, und als ich Mama davon erzählte, da schien der Entschluss nicht mehr ganz so verrückt.«
»Mission Nachtfalter«, wiederholte Marit leise. Alles ergab einen Sinn, nach und nach. Alles fügte sich ineinander wie ein riesiges buntes Puzzle. Ein blauer Schmetterling mit Goldflecken auf den Flügeln landete auf dem Bananenkuchen.
»Die wohnen im Mais«, sagte Julia, die auch einmal etwas sagen wollte. »Felipe sagt, sie sind eine Plage . Und Mamas komischer Professor, der wollte sie unbedingt finden und dachte, sie wären selten und alles …«
»Die Mission Nachtfalter an sich war natürlich auch verrückt«, sagte Mama. »Die Idee bestand darin, Leute während des Fliegeralarms aus den Städten zu holen.
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