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Die geheime Reise der Mariposa

Die geheime Reise der Mariposa

Titel: Die geheime Reise der Mariposa Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Antonia Michaelis
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Niemand rechnet damit. Niemand achtet auf das, was nachts in Städten geschieht, in denen alle Menschen in Luftschutzkellern sitzen. Ein Netzwerk von Leuten hatte sich zusammengeschlossen, um diese Nächte zu nutzen. Die meisten, denen sie geholfen haben, waren versteckte Juden. Aber es gab auch ein paar andere Leute, wie Papa und uns. Also packte ich unsere Sachen ein wenig gründlicher als gewöhnlich. Und ich wartete auf den nächsten Fliegeralarm. Ich sehnte ihn herbei. Ich lag nachts in meinem Bett und wünschte mir, dass die Sirenen losgingen. Und hoffte, das Auto wäre da. ›Wenn es beim nächsten Alarm nicht da ist, dann beim übernächsten‹, hatten sie gesagt, ›oder bei dem danach …‹ Und dann kam die Nacht mit dem Alarm, und das Auto war da, ich sah es am Ende der Straße, aber niemand hatte ahnen können, dass gerade diese Straße getroffen würde. Ich hatte keine Zeit zu überlegen. Ich zog Julia an der Hand mit und wir rannten. Aber in der anderen Hand trug ich den Koffer. Ich hätte ihn loslassen sollen. Ich hätte dich an die Hand nehmen sollen … Es ging alles zu schnell. Das Auto fuhr mit uns fort, mitten durchs Feuer.« Sie stand auf und legte einen Arm um Marit. »Es tut mir so leid«, flüsterte sie. »Ich wollte dich nie dalassen! Sie brachten uns aus der Stadt, zu jemandem, der uns eine Weile versteckte, uns drei zusammen. Papa ist noch einmal zurückgegangen, um nach dir zu fragen. Ich wusste nicht, dass er zurückging. Er hat es mir erst hinterher gesagt. Es war viel zu gefährlich. Wie überhaupt alles. Richard hat ihm erzählt, du hättest den Angriff nicht überlebt. So sind wir zu dritt weitergereist, von Ort zu Ort, mit Leuten der Mission oder mit Leuten, die Leute kannten. Und irgendwann waren wir auf einem Schiff, das über den Atlantik fuhr, wochenlang. Wir kamen im Dezember in Ecuador an und da waren die Amerikaner plötzlich über Nacht unsere Feinde geworden. Deutschland hatte den USA den Krieg erklärt. Deshalb sind wir heimlich zur Isla Maldita gefahren. Ein holländisches Schiff hat uns mitgenommen und hier abgesetzt, mit all unserem Gepäck. Dem Saatgut aus Ecuador … Wir verstecken uns vor den Flugzeugen, damit sie uns nicht zurück nach Deutschland schicken. Felipes Familie hat uns in Ecuador schon geholfen, und er hat beschlossen mitzugehen. Ich habe ihm von dem Buch erzählt … und von den Inseln … all den Tieren … Vielleicht lag es daran.«
    Ein großer gelber Hund kam auf die Veranda gesprungen, warf Marit einen misstrauischen Blick zu und legte sich schließlich unter den Tisch. Nach dem Hund kam ein junger Mann, und als er Marit sah, machte er ein sehr verwirrtes Gesicht.
    »Wir reden gerade von dir«, sagte Mama auf Spanisch. »Setz dich.«
    »Aber wer … wer ist das?«, fragte Felipe.
    »Das ist Marit«, sagte Mama, beiläufig, als stellte sie jemanden vor, der zum Tee vorbeigekommen war. »Unsere ältere Tochter. Nimm doch ein Stück Bananenkuchen.«
    »Wo… woher kommst du?«, fragte Felipe. »Bist du vom Himmel gefallen?«
    »So ähnlich«, sagte Marit und grinste. Und dann erzählte sie ihre Geschichte noch einmal, in der längeren Version, und Julia redete dauernd dazwischen und der gelbe Hund wurde abwechselnd von allen mit Kuchen gefüttert.
    »Casaflora«, sagte Mama am Ende. »Marit, hast du den Namen mal ins Deutsche übersetzt?«
    »Nein«, sagte Marit. »Es ist nur ein Name. Namen übersetzt man nicht.« Sie dachte nach. »Oder doch. Casa flora. Blumenhaus.«
    »Blumenhaus«, sagte Mama. »Sein Schiff hieß Mariposa. Schmetterling. Und er war schon ein paar Jahre auf den Inseln unterwegs, lange genug, um so zu sprechen, dass man ihn für einen Ecuadorianer hielt. Er hatte natürlich dunkles Haar, das hat geholfen …«
    »Dein Professor«, sagte Papa. »Du glaubst, Casaflora war Professor Blumenhaus? Der, der das Buch über die Inseln geschrieben hat? Dein Vorbild?«
    »Ja«, sagte Mama und plötzlich klang sie traurig. »Mein Vorbild hat sich verwandelt. In den Zeichner einer lebensgefährlichen Karte. In einen deutschen Spion. In einen verbitterten alten Mann. Oder vielleicht war er immer so. Ich wusste es nur nicht.«
    Marit streichelte den gelben Hund, auf dessen Kopf sich Carmen gerade zu einem Nickerchen einrollte. Loco stand mit seinen großen blauen Füßen schon eine Zeit lang auf dem Tisch und pickte Kuchenkrümel auf.
    »Er hat sich vielleicht zurückverwandelt«, sagte Marit leise. »Dein alter Professor. Ganz am Ende. Er hat

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