Die Geheimnisse der Patricia Vanhelsing
sich durch den heftiger werdenden Wind. Draußen prasselte der Regen. Es war längst dunkel geworden.
Rovenna fürchtete sich vor der Nacht.
Sie wusste, dass sie kaum Schlaf finden würde.
Schon seit Jahren ging das so und es gab keine Aussicht auf Besserung. Rovenna schloss die Augen, lauschte einige Momente dem Prasseln des Regens. Der Wind heulte um die verwinkelte Brennan-Villa herum. Fensterläden klapperten. Raschelnd wogten Bäume und Sträucher hin und her.
Was soll ich tun?, ging es der jungen Frau durch den Kopf.
Verzweiflung stieg in ihr auf und begann innerhalb weniger Augenblicke jede Faser ihrer Seele zu beherrschen. Das Klavierspiel war eine behelfsmäßige Möglichkeit, diesen düsteren Empfindungen wenigstens für eine Weile zu entfliehen. Aber im Augenblick gelang ihr nicht einmal das.
Sie erhob sich.
Der Wind bewegte ihr fließendes Gewand. Eine Gänsehaut bildete sich auf ihren nackten Unterarmen. Ihr Blick fiel auf ein Foto, das in einem goldfarbenen Rahmen auf dem Flügel stand.
Es zeigte einen jungen Mann mit dunkelblonden, nach hinten gekämmten Haaren, einem markanten Profil und einem sympathischen Lächeln um die Lippen.
Sie nahm das Bild in beide Hände und trat auf die Fensterfront zu. Draußen hatte es regelrecht zu stürmen begonnen.
Der Regen prasselte immer heftiger und Rovenna fühlte bereits die ersten Tropfen auf ihrer Haut.
Morris, dachte sie und drückte das Foto an sich, als würde es sich um ein lebendes Wesen handeln. Mein geliebter Morris Williamson...
Tränen rannen ihr über das Gesicht und die Kälte und der Regen, die von draußen hereindrangen, kümmerten sie dabei nicht. Sie bemerkte sie kaum.
Du wirst niemals zu mir zurückkehren, Morris, ging es ihr durch den Kopf. Ich habe alles versucht, aber was haben diese Bemühungen bewirkt? Nichts als Tod und Verderben... Es geht nicht anders. Die Suche nach deiner Seele muss ein Ende haben, wenn nicht noch mehr Unheil geschehen soll...
*
Tom brachte mich am späten Abend nach Hause. Noch bis weit nach Redaktionsschluss hatten wir im Archiv gesessen und versucht, mehr über die Brennan-Geschwister herauszufinden.
So hatte sich herausgestellt, dass das Karriereende der Rovenna Brennan offenbar mit dem Tod eines jungen Mannes namens Morris Williamson in Zusammenhang stand. Williamson war ebenfalls Musiker gewesen. Ein begnadeter Cellist, dem die Kritiker zu Füßen lagen. Offenbar hatte eine kurze, leidenschaftliche Liebesaffäre Rovenna mit diesem Mann verbunden. Eine Liebe, die jäh durch einen Verkehrsunfall beendet worden war. Morris Williamson hatte sich mit seinem nagelneuen Sportwagen zu Tode gefahren als der Wagen aus unerklärlichen Gründen plötzlich Feuer fing und gegen einen Baum raste.
Rovenna schien über diesen Verlust nie wirklich hinweggekommen zu sein.
Jedenfalls begannen von da ab ihre seelischen Probleme.
Sie zog sich mehr und mehr zurück und lebte fast völlig von der Außenwelt abgeschlossen mit ihrem Bruder zusammen.
"Ein eigenartiges Geschwisterpaar, die beiden Brennans", meinte Tom, während er den Volvo vor Tante Lizzys Villa hielt.
"Wir haben jetzt zwar einiges über Rovenna herausgefunden, aber noch relativ wenig über ihren Bruder..."
"Allan hat allem Anschein nach zurückgezogener gelebt, als seine Schwester", gab ich zu bedenken. "Eigentlich ist es ja auch nicht verwunderlich, dass über Rovenna mehr an Informationen zu bekommen ist. Schließlich stand sie zumindest in ihrer Zeit als Konzertpianistin ja im Rampenlicht der Öffentlichkeit..."
"Machen wir morgen weiter", meinte Tom. "Es war ein langer Tag..."
"Ja."
Wir stiegen aus und Tom begleitete mich noch bis zur Haustür. Es hatte ziemlich heftig zu regnen begonnen und ein aufkommender Sturmwind bog die Büsche im Vorgarten zur Seite. Bei der Tür stellten wir uns unter.
Wir sahen uns an.
Das Licht der Straßenlaternen spiegelte sich in Toms Augen.
Er küsste mich sanft.
"Gute Nacht" murmelte er dann.
"Gute Nacht, Tom..."
Ich blickte ihm noch nach, während er durch den Regen zurück zum Wagen lief. Er winkte mir kurz zu, stieg ein und fuhr dann los. Einige Augenblicke später war der Volvo hinter der nächsten Straßenecke verschwunden. Ich wandte mich der Haustür zu. Schnitzereien zierten den Griff aus dunklem Tropenholz, das heute längst nicht mehr zu diesem Zwecke verwendet wurde. Seit ich zwölf war, lebte ich bei Tante Tante Lizzy in dieser Villa.
Irgendwann wird auch diese Zeit unweigerlich zu
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