Die geheimnißvolle Insel
Neben diesem linken Ufer dehnte sich ein ebenerer Boden, der nach dem Innern zu sanft aufstieg. Da und dort sehr feucht, nahm er fast einen sumpfigen Charakter an. Unter den Füßen glaubte man ein Netz von Wasseradern zu spüren, die durch irgend welche unterirdische Spalten sich in den Fluß ergießen mochten. Manchmal plätscherte auch ein leicht zu überschreitender Bach quer durch das Gehölz. Das gegenüber liegende Ufer erschien weit unebener, und zeichnete sich die Richtung des Thals, dessen Sohle eben der Fluß einnahm, in seinen Linien deutlich ab. Die mit etagenartig stehenden Bäumen besetzte Erhöhung bildete einen jede Aussicht beschränkenden grünen Vorhang. Auf jenem rechten Ufer vorzudringen, wäre weit schwieriger gewesen, denn von den steilen, manchmal schroffen Abhängen neigten sich oft ganze Bäume, die nur noch durch ihre Wurzeln gehalten waren, bis zum Niveau des Wassers.
Es bedarf wohl keiner Erwähnung, daß dieser Wald, ebenso wie die schon durchlaufene Küstenstrecke noch einen ganz jungfräulichen, von keines Menschen Fuß betretenen Boden zeigte. Doch fielen Pencroff Spuren wilder Thiere, die unlängst hier durchgekommen sein mußten, in’s Auge, ohne daß er die Art derselben bezeichnen konnte. Einige derselben gehörten Harbert’s Ansicht nach gewiß ganz furchtbaren Bestien an, mit denen man wohl noch zu thun bekommen würde; nirgends aber fand man einen Axthieb an einem Baume, Reste eines verlöschten Feuers oder den Abdruck von Schritten. Letzterer Umstand war vielleicht als ein Glück anzusehen, da es zweifelhaft blieb, ob auf diesem Stück Erde mitten im Pacifischen Oceane die Gegenwart von Menschen mehr zu wünschen oder zu fürchten sei.
Selten ein Wort sprechend kamen Harbert und Pencroff bei den großen Schwierigkeiten des Weges nur langsam vorwärts, und hatten nach Verlauf einer Stunde kaum eine Meile zurückgelegt. Bis hierher war die Jagd noch gänzlich erfolglos gewesen. Einige Vögel hüpften zwitschernd zwischen den Aesten, zeigten sich aber sehr scheu, so als ob ihnen der Anblick der Menschen eine instinctive Furcht einflöße. Unter anderem Geflügel machte Harbert in einem sumpfigen Theile des Waldes auf einen Vogel mit langem, spitzem Schnabel aufmerksam, der seinem äußeren Bau nach dem sogenannten Taucherkönig sehr ähnlich war. Doch unterschied er sich von Letzterem durch das gröbere Gefieder, das einen metallischen Glanz zeigte.
»Das muß ein ›Jacamar‹ (Glanzvogel) sein, sagte Harbert und suchte sich diesem vorsichtig zu nähern.
– Eine schöne Gelegenheit, einen Jacamar zu kosten, meinte der Seemann, wenn jener die Gefälligkeit hätte, sich braten zu lassen.«
Schon traf ein geschickt und kräftig geworfener Stein das Thier an der Flügelwurzel, reichte aber nicht hin, jenes zu lähmen, denn der Jacamar entfloh sehr hastig und war in wenigen Augenblicken verschwunden.
»Ich bin doch recht ungeschickt! rief Harbert.
– Nicht doch, mein Junge, erwiderte Pencroff, Dein Wurf war sicher, und mancher Andere hätte den Vogel wohl ganz gefehlt. Laß den Kopf nicht sinken; der Bursche läuft uns wieder in den Weg!«
Sie gingen weiter. Je tiefer sie in das Innere gelangten, desto prächtigere Bäume traten ihnen minder dicht stehend entgegen, doch keiner derselben trug eßbare Früchte. Vergebens suchte Pencroff nach einigen der so kostbaren Palmen, die für das gewöhnliche Leben so Vielerlei bieten, und welche auf der nördlichen Halbkugel der Erde bis zum vierzigsten, auf der südlichen bis zum fünfunddreißigsten Breitengrade vorkommen. Der Wald hier bestand aber nur aus Coniferen, wie die von Harbert schon erkannten Deodars, und »Douglas« (eine Fichtenart), ähnlich den an der Nordwestküste Amerikas einheimischen, nebst prächtigen Tannen von hundertfünfzig Fuß Höhe.
Da flatterte eine Heerde kleiner Vögel mit herrlichem Gefieder und langem, schillerndem Schwanze zwischen dem Geäste auf und verstreute eine Menge ihrer nur lose sitzenden Federn, die den Boden unter ihnen mit seinem Flaume bedeckten. Harbert sammelte einige und sagte nach genauerer Prüfung derselben:
»Das sind ›Kurukus‹ (Nagevögel).
– Mir wäre ein Perlhuhn oder ein Auerhahn lieber, antwortete Pencroff; indeß, sind diese eßbar?
– O gewiß, ihr Fleisch schmeckt sogar vortrefflich, erwiderte Harbert. Wenn ich nicht irre, kann man jenen auch leicht beikommen und sie mit Stockschlägen erlegen.«
Der Seemann und der junge Mensch schlichen sich durch das
Weitere Kostenlose Bücher