Die Geisel
Film. Niedrige Produktionskosten und schlechte Dialoge. Ein Ort, wo alles groß, aber nichts echt war. Er hatte sich wieder eine Anwaltskanzlei aufgebaut und war auch recht erfolgreich, doch er war nie mit Los Angeles warm geworden. Vom ersten Tag an nicht, als sie in das gemietete Haus in West-Hollywood gezogen waren. Und auch nicht in den letzten sieben Jahren, in denen Melanies Sendung immer populärer und sie selbst für viele zu einer festen Größe geworden war. Nichts davon war ihm wichtig. Das alles führte nur dazu, dass er sich leer und unzufrieden fühlte.
Und dann die Sache mit den Kindern. Brian wollte welche. Melanie war noch nicht so weit. Würde nie mehr so weit sein. Sie wussten es beide, doch keiner von ihnen hatte es je laut ausgesprochen, wie so vieles andere, das in den letzten Jahren ungesagt geblieben war.
Und dann … wie eine Straßenkatze, die sich aus einem Müllsack hervorkämpft, brach der große, unausgesprochene Satz hervor.
»Ich hab genug von L.A. Ich will nach Hause«, verkündete Brian.
»Nach Hause?«
»Nach Michigan.«
»Das meinst du doch nicht ernst. Das hier ist unser Zuhause.«
Er stand auf. »Ich habe heute Abend mit meinem Vater gesprochen. Er setzt sich endlich zur Ruhe. Ich kann seine Kanzlei übernehmen. Wir werden gut dastehen. Besser als gut. Wir können …«
»Ich kann hier nicht weg. In Michigan gibt es nichts für mich.«
Er sah ihr jetzt fest in die Augen. »Dann haben wir ein Problem.«
»Ich stehe mitten in Verhandlungen über eine neue Sendung. Ich …« Sie brach ab und massierte sich die Schläfen. »Nicht ausgerechnet jetzt, Brian … Bitte, nicht jetzt …«
»Es wird nie einen besseren Augenblick geben«, erwiderte er.
Melanie setzte zu einem zornig gestammelten Widerspruch an, riss sich aber zusammen.
»Ich kann einfach nicht glauben, was ich hier höre«, sagte sie schließlich. »Ich kann auf gar keinen Fall …«
Das Telefon klingelte. Es war, als hätte ein Fremder den Raum betreten. Es klingelte wieder und dann ein drittes Mal, bevor Melanie den Arm ausstreckte und abnahm. »Ja.«
»Du wolltest doch frische Inhalte … Ich hab da was für dich, Baby«, trompetete ihr Produzent Martin Wells in den Hörer.
»Es ist spät, Martin«, seufzte sie. »Und das ist wirklich kein besonders guter Moment.«
Er ignorierte sie. »Das erste Team ist schon unterwegs nach Arizona. Bis morgen früh haben die alles aufgebaut und können loslegen.«
»Was ist denn in Arizona?«
»Bloß die größte Häftlingsrevolte in der Geschichte der Vereinigten Staaten. Gefangene haben ein ausbruchssicheres Gefängnis übernommen. Sie haben automatische Waffen. Der Gouverneur hat die Nationalgarde gerufen. Da braut sich was ganz Großes zusammen.«
»Meinst du diesen Laden, wo die schlimmsten der Schlimmen hingeschickt werden? Meza Irgendwas?«
»Meza Azul. Ja, genau den.«
»Haben sie Geiseln genommen?«
»Ungefähr hundertfünfzig.«
Sie wollte etwas sagen, doch Martin Wells schnitt ihr das Wort ab. »Und hier kommt der Knaller. Weißt du, wer den Aufstand anführt? Wer dafür verantwortlich ist?« Er ließ ihr keine Zeit zu antworten. »Ein Kerl namens Timothy Driver. Sagt dir der Name was?«
»Der Navy-Captain. Der Typ, der seine Frau und ihren Liebhaber erschossen hat.«
»Weißt du, was er will? Warum er alle sechs Stunden eine Geisel erschießen will, bis er kriegt, was er verlangt?«
»Was denn?«
»Er will, dass ihm Frank Corso ins Gefängnis geliefert wird.«
»Der Schriftsteller?«
»Genau der.«
»Wie lange noch bis zur ersten Deadline?«
»Knapp zwei Stunden.«
5
»Können Sie näher ranzoomen? Dass man die Nummer auf seiner Marke sehen kann?« Elias Romero ermahnte sich, sich zu entspannen und nicht laut ins Mikrofon zu atmen.
»Er ist zu tief im Schatten«, schrie der CNN-Kameramann über die Schulter zurück. »Von hier aus kriege ich nichts.«
»Ich glaub's einfach nicht«, flüsterte jemand aus dem hinteren Teil des Wagens. »Glauben Sie, der macht das wirklich?«
»Wir können nur beten, dass er's nicht tut«, sagte der Captain der State Police.
»Da kommt er«, rief der Kameramann.
Alle Augen richteten sich auf den Bildschirm, auf dem ein blonder Mann in Wächteruniform durch den mittleren Torbogen des Verwaltungsgebäudes gestoßen wurde, aus den Schatten ins grelle Licht der Scheinwerfer. Sein Gang war ein steifbeiniges Taumeln, sein Gesicht weiß vor Angst. Seine Hände waren an einen breiten weißen Ledergurt gekettet,
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