Die Geisha - Memoirs of a Geisha
Sayuri-san. Manchmal bringst du es tatsächlich so weit, daß ich glaube, deine kleinen Scherze seien Ernst.«
Ich halte nicht viel davon, mich als Tee zu sehen, der in einem Nachttopf aufgebrüht wurde, aber vermutlich trifft der Vergleich irgendwie zu. Schließlich bin ich in Yoroido aufgewachsen, und bestimmt würde kein Mensch behaupten wollen, das sei eine besonders vornehme Ortschaft. Von Fremden wird sie so gut wie nie besucht. Und was die Menschen betrifft, die dort leben, so haben sie kaum einen Grund, das Dorf zu verlassen. Nun fragen Sie sich vermutlich, wie es kam, daß ich es dennoch verlassen habe. Und damit fängt meine Geschichte an.
In unserem kleinen Fischerdorf Yoroido lebte ich in einer Hütte, die ich als »beschwipstes Haus« bezeichnete. Sie stand dicht an einer Klippe, wo ständig der Wind landeinwärts pfiff. Als Kind schien es mir, als wäre das Meer schrecklich erkältet, da es beständig ächzte und keuchte und zuweilen einen kräftigen Nieser losließ, das heißt einen Windstoß mit einem dicken Schwall Gischt. In meiner Vorstellung war unsere winzige Hütte tief gekränkt, weil das Meer ihr immer wieder ins Gesicht nieste, und hatte sich, um dem zu entgehen, soweit wie möglich zurückgelehnt. Vermutlich wäre sie zusammengebrochen, wenn mein Vater nicht einen Balken von einem gestrandeten Fischerboot geholt hätte, um damit das Dach zu stützen – woraufhin unser Haus einem beschwipsten alten Mann glich, der sich auf seine Krücke stützt.
In diesem beschwipsten Haus führte ich so etwas wie ein windschiefes Leben, denn von frühester Kindheit an sah ich meiner Mutter sehr ähnlich, meinem Vater und meiner älteren Schwester hingegen fast gar nicht. Meine Mutter sagte, das komme daher, daß wir genau gleich gemacht seien, sie und ich – und das traf zu, denn wir hatten beide die gleichen seltsamen Augen, wie man sie sonst in Japan fast nirgendwo sieht. Statt dunkelbraun wie die aller anderen waren die Augen meiner Mutter von einem durchsichtigen Grau, und die meinen sehen genauso aus. Als ich noch sehr klein war, erzählte ich meiner Mutter, daß ich glaubte, jemand hätte ihr ein Loch in die Augen gebohrt und die ganze Tinte sei herausgeflossen. Sie hielt das für ziemlich komisch. Die Wahrsager behaupteten, ihre Augen seien so hell, weil ihre Persönlichkeit zuviel Wasser enthalte, so viel, daß für die anderen vier Elemente so gut wie gar kein Platz mehr übrig sei – und deswegen, meinten sie, paßten auch ihre Gesichtszüge so schlecht zusammen. Die Leute im Dorf sagten oft, sie hätte eigentlich sehr attraktiv sein müssen, weil ihre Eltern attraktiv gewesen waren. Nun, ein Pfirsich schmeckt ganz wunderbar, und ein Pilz auch, aber man kann die beiden nicht zusammen essen – und genau diesen gemeinen Streich hatte ihr die Natur gespielt. Sie besaß den kleinen Schmollmund ihrer Mutter, aber das kantige Kinn ihres Vaters, was an ein zierliches Bild in einem viel zu schweren Rahmen denken ließ. Und ihre schönen grauen Augen waren von dicken Wimpern umrahmt, die bei ihrem Vater eindrucksvoll gewirkt haben mußten, ihr jedoch einen ständig erschrockenen Gesichtsausdruck verliehen.
Meine Mutter sagte immer, sie habe meinen Vater geheiratet, weil sie zuviel Wasser in ihrer Persönlichkeit habe und er zuviel Holz. Menschen, die meinen Vater kannten, begriffen sofort, wovon sie sprach. Wasser fließt schnell von einem Ort zum anderen und findet immer einen Spalt, durch den es sickern kann. Holz dagegen ist fest in der Erde verankert. Im Fall meines Vaters war das auch gut so, denn er war Fischer, und ein Mann mit Holz in der Persönlichkeit fühlt sich auf dem Wasser wohl. Tatsächlich fühlte sich mein Vater auf dem Meer wohler als anderswo und entfernte sich nie weit von ihm. Selbst wenn er gebadet hatte, roch er nach Meer. Wenn er nicht fischen ging, saß er an dem kleinen Tisch in unserem dunklen Vorderzimmer und flickte Fischernetze. Wenn ein Fischernetz ein schlafendes Wesen wäre, hätte er es bei seinem Arbeitstempo nicht mal geweckt. Er machte alles so gemächlich. Selbst wenn er konzentriert dreinblicken wollte, konnte man hinauslaufen, das Bad ablassen und zurückkehren, ehe er seine Gesichtszüge entsprechend geordnet hatte. Sein Gesicht war von sehr tiefen Falten durchzogen, und in jeder Falte hielt er die eine oder andere Sorge verborgen, so daß es gar nicht mehr wie sein Gesicht aussah, sondern eher einem Baum glich, in dessen Ästen überall Vogelnester
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