Die Geisha - Memoirs of a Geisha
gern – solange Sie es sind, der sie aufschreibt«, antwortete sie.
So begannen wir mit unserer Aufgabe. Sayuri zog es vor, ihre Memoiren zu diktieren, statt sie selbst aufzuschreiben, denn, so erklärte sie mir, sie sei so an ein Gegenüber gewöhnt, daß sie kaum wüßte, wie sie zurechtkommen sollte, wenn niemand dabei sei, der ihr zuhöre. Ich stimmte zu, und so wurde mir das Manuskript im Verlauf von achtzehn Monaten diktiert. Nie fiel mir Sayuris Kyoto-Dialekt – in dem Geisha geiko heißt und Kimono mitunter obebe – stärker auf, als wenn ich mir den Kopf zerbrach, wie ich die feinen Nuancen in eine andere Sprache hinüberretten könnte. Doch von Anfang an verlor ich mich in ihrer Welt. Meist trafen wir uns abends, da Sayuris Geist aufgrund lebenslanger Gewohnheit um diese Zeit am lebhaftesten war. Normalerweise zog sie es vor, in ihrer Suite im Waldorf Towers zu arbeiten, von Zeit zu Zeit trafen wir uns auch im separaten Gastraum eines japanischen Restaurants in der Park Avenue, wo man sie gut kannte. Unsere Sitzungen dauerten gewöhnlich zwei bis drei Stunden. Obwohl wir jede Sitzung mit einem Kassettenrecorder aufzeichneten, war überdies noch ihre Sekretärin dabei, um alles mitzuschreiben, was diese auch gewissenhaft tat. Aber Sayuri sprach niemals für den Kassettenrecorder oder die Sekretärin, sie sprach immer nur für mich. Wenn sie nicht genau wußte, wo sie anknüpfen sollte, war ich es, der ihr weiterhalf. Ich betrachtete mich als das Fundament, auf dem das ganze Unternehmen ruhte, und war überzeugt, daß ihre Geschichte niemals erzählt worden wäre, hätte ich nicht ihr Vertrauen gewonnen. Inzwischen denke ich, daß es auch anders gewesen sein kann. Gewiß, Sayuri hatte mich zu ihrem Amanuensis erkoren, doch möglicherweise hatte sie nur darauf gewartet, daß der richtige Kandidat dafür auftauchte.
Womit wir bei der zentralen Frage wären: Warum wollte Sayuri, daß ihre Geschichte erzählt wurde? Für Geishas gab es zwar keine offizielle Schweigepflicht, doch ihre bloße Existenz gründet auf der sehr japanischen Überzeugung, daß das, was vormittags im Büro vorgeht, und das, was sich abends hinter geschlossenen Türen abspielt, nichts miteinander zu tun hat und stets voneinander getrennt zu halten ist. Geishas erzählen einfach nicht in aller Öffentlichkeit von ihren Erlebnissen. Genau wie eine Prostituierte – ihr Gegenstück auf einem niedrigeren gesellschaftlichen Rang – sieht sich eine Geisha in der außergewöhnlichen Situation, genau zu wissen, ob diese oder jene Persönlichkeit des öffentlichen Lebens ihre Hose tatsächlich so anzieht wie alle anderen, nämlich ein Bein nach dem anderen. Vermutlich kommt es ihnen selbst zugute, daß diese bezaubernden Nachtfalter ihre Rolle als eine Art öffentlichen Vertrauensposten ansehen, doch wie dem auch sei, jede Geisha, die dieses Vertrauen mißbraucht, bringt sich in eine unhaltbare Position. Die Umstände, unter denen Sayuri ihre Geschichte erzählte, waren insofern ungewöhnlich, als damals in Japan niemand mehr Macht über sie hatte. Die Verbindungen zu ihrem Heimatland waren gelöst. Diese Tatsache erklärt uns vielleicht wenigstens zum Teil, warum sie sich nicht mehr zum Schweigen verpflichtet fühlte, erklärt uns aber immer noch nicht, warum sie sich zum Sprechen entschloß. Ich selbst wagte ihr diese Frage nicht zu stellen, denn was wäre, wenn sie ihre Skrupel hinsichtlich dieses Themas noch einmal überdachte und ihren Entschluß revidierte? Selbst als das Manuskript vollständig war, zögerte ich noch zu fragen. Erst als sie ihren Vorschuß vom Verlag erhalten hatte, hielt ich es für ungefährlich, die Sache anzusprechen. Warum wollte sie, daß ihr Leben dokumentiert wurde?
»Was soll ich dieser Tage sonst mit meiner Zeit anfangen?« lautete ihre Antwort.
Ob ihre Gründe wirklich so simpel waren, wie sie vorgab – das zu entscheiden überlasse ich den Lesern und Leserinnen.
Obwohl ihr sehr viel daran lag, ihre Biographie geschrieben zu sehen, stellte Sayuri mehrere Bedingungen. Das Manuskript sollte erst nach ihrem und dem Tod mehrerer Männer veröffentlicht werden, die eine wichtige Rolle in ihrem Leben gespielt hatten. Wie sich herausstellte, starben sie alle vor ihr. Es war Sayuri überaus wichtig, daß niemand durch ihre Enthüllungen in Verlegenheit gebracht wurde. Wann immer möglich, habe ich die Namen unverändert gelassen, obwohl Sayuri die Identität gewisser Herren sogar vor mir verbarg, indem sie sich
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