Die gelben Augen der Krokodile: Roman (German Edition)
gar nicht infrage! Bloß weil du dich in ’nem Sack versteckst, brauch ich noch lange nicht so gammlig rumzulaufen.«
Ohne mit der Wimper zu zucken, hielt Hortense dem zornfunkelnden Blick ihrer Mutter stand. Kupferfarbene Strähnen hatten sich aus der Spange gelöst, mit der sie ihr Haar zusammengesteckt hatte, und ihre Wangen waren gerötet, was ihr einen kindlichen Zug verlieh, der nicht zu ihrem Auftritt als Femme fatale passte. Die bissige Bemerkung ihrer Tochter hatte Joséphine so verletzt, dass sie die Fassung verlor. Sie stammelte eine Antwort, die keine war, da niemand sie hören konnte.
»Kommt schon, ihr beiden, beruhigt euch«, sagte Iris lächelnd, um die Spannung etwas zu lockern. »Deine Tochter ist älter geworden, Joséphine, sie ist kein kleines Kind mehr. Ich verstehe, dass das für dich ein Schock sein muss, aber daran kannst du nun mal nichts ändern! Es sei denn, du presst sie zwischen zwei Wörterbücher, um sie zu trocknen.«
»Ich kann sie sehr wohl daran hindern, sich derart schamlos zur Schau zu stellen.«
»Sie ist nicht anders als die meisten anderen Mädchen in ihrem Alter auch … einfach zauberhaft.«
Joséphine schwankte und musste sich auf einen Liegestuhl neben Iris
sinken lassen. Gleichzeitig gegen ihre Schwester und ihre Tochter zu kämpfen ging über ihre Kräfte. Sie wandte den Kopf ab, um die Tränen der Wut und der Ohnmacht zurückzudrängen, die sie in sich aufsteigen fühlte. Es endete immer gleich, wenn sie sich gegen Hortense zu behaupten versuchte: Sie verlor das Gesicht. Sie hatte Angst vor ihr, vor ihrem Hochmut, vor ihrer offensichtlichen Verachtung, aber, was noch schlimmer war, sie musste sich eingestehen, dass Hortense häufig recht hatte. Wenn sie selbst stolz auf ihre Figur gewesen wäre, als sie aus der Kabine kam, wenn sie sich in ihrem eigenen Badeanzug attraktiv gefühlt hätte, dann hätte sie sicher nicht so heftig reagiert.
Einen Moment blieb sie aufgelöst und zitternd sitzen. Fixierte die Reflexe des Wassers, betrachtete die grünen Pflanzen, die weißen Marmorsäulen, die blauen Mosaiken, ohne sie zu sehen. Dann richtete sie sich wieder auf, atmete tief ein, um ihre Tränen aufzuhalten – fehlte gerade noch, dass ich mich lächerlich mache und den Leuten ein Schauspiel biete –, und drehte sich zu ihrer Tochter um.
Hortense war gegangen. Sie stand auf den Stufen des Beckens, fühlte mit den Zehenspitzen die Temperatur und wollte sich gerade ins Wasser gleiten lassen.
»Du solltest dich vor ihr nicht so aufregen, du verlierst doch jegliche Autorität«, flüsterte Iris und drehte sich auf den Bauch.
»Ich möchte dich mal sehen! Sie ist abscheulich zu mir.«
»Das ist das Alter. Sie steckt mitten in der Pubertät.«
»Die Pubertät ist doch nur eine bequeme Ausrede. Sie behandelt mich, als wäre ich ihre Untergebene!«
»Vielleicht weil du dir das immer hast gefallen lassen.«
»Was soll das heißen, weil ich mir das immer habe gefallen lassen?«
»Du hast dich schon immer von den Leuten behandeln lassen, wie es ihnen gefällt! Du respektierst dich selbst nicht, also warum sollten dich die anderen respektieren?«
Wie vor den Kopf geschlagen, hörte Joséphine ihrer Schwester zu.
»Doch, doch … weißt du nicht mehr … Als wir noch klein waren … Ich ließ dich vor mir niederknien, du musstest dir das, was dir auf der Welt am allerliebsten war, auf den Kopf legen und es mir mit einer Verbeugung darbieten. Und du durftest es nicht fallen lassen … sonst wurdest du bestraft! Erinnerst du dich nicht mehr?«
»Das war ein Spiel!«
»Aber nicht so unschuldig, wie du glaubst! Ich habe dich getestet. Ich wollte wissen, wie weit ich gehen konnte, und ich hätte alles von dir verlangen können. Du hast nie Nein gesagt!«
»Weil ich dich liebte!«
Joséphine protestierte mit aller Kraft.
»Das habe ich aus Liebe getan, Iris. Nur aus Liebe. Ich habe dich verehrt!«
»Aber das hättest du nicht tun sollen. Du hättest dich wehren sollen, mich beschimpfen! Das hast du nie getan. Und du wunderst dich, dass deine Tochter dich jetzt so behandelt?«
»Hör auf! Gleich behauptest du noch, ich sei selbst schuld daran.«
»Natürlich bist du selbst schuld daran!«
Das war zu viel für Joséphine. Sie ließ den bitteren Tränen, die sie bis dahin zurückgehalten hatte, freien Lauf und weinte lautlos vor sich hin, während Iris, den Kopf zwischen den Armen vergraben, auf dem Bauch lag und weiter ihre gemeinsame Kindheit und die Spiele
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