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Die Germanin

Titel: Die Germanin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Gordian
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Sirenen wissen. Von der Mythologie war es nur ein kurzer Weg zur Geschichte: zu Perikles, Alkibiades, Themistokles, Alexander, Hannibal, Caesar. Manchmal brachte Nelda den alten Lehrer in Verlegenheit, wenn sie hartnäckig nach den Frauen fragte, die die Mütter der großen Männer waren oder die mit ihnen gelebt hatten. Dann musste er in den letzten Winkeln seines Gedächtnisses graben, damit auch Aspasia, Olympias, Roxane und Aurelia zu ihrem Recht kamen. Von der dämonischen Kleopatra wusste er ausführlich zu berichten und Nelda ergriff entschieden Partei für die unglückliche, verlassene Octavia. Oft erstaunte ihn, wie anders die Heranwachsende Dinge beurteilte, die sein nüchterner Gelehrtenverstand für klar und bewiesen hielt. Dann stritten sie und er musste auf der Hut sein, dass sie ihn nicht mit ihrer kindlich weiblichen Logik bloßstellte. Sie hatte sogar rhetorisches Talent, im Gegensatz zu ihrem Bruder, der in diesem Fach oft an den einfachsten Aufgaben scheiterte.
    Frau Male, Neldas Mutter, war entschieden dagegen, dass ihre Tochter die Zeit damit vertat, sich unnütze Gelehrsamkeit anzueignen. Manchmal erschien sie unverhofft in der Hütte des Alten, schlug Nelda die Wachstafel aus der Hand und zerrte sie zurück ins Wohnhaus, wo sie die Spindel drehen oder beim Töpfern helfen musste. Manchmal setzte es auch Prügel mit dem Besenstiel. Die Gemaßregelte beschwerte sich bei ihrem Vater, denn sie wusste, Segestes sah nicht ungern, dass seine Tochter die Sprache der Römer erlernte und sie bald besser beherrschen würde als er selbst. Alles, was Priscus ihr beibrachte, konnte hilfreich sein. Allmählich wurde ihm bewusst, dass die Tochter vielleicht viel nützlicher sein könnte als der Sohn und dass es deshalb angebracht war, ein Auge auf ihre Erziehung zu haben.
    Im Allgemeinen wurde die Ausbildung der Töchter allein den Müttern überlassen und anfangs hatte Segestes es nicht anders gehalten. Er hatte das Kind vom Boden aufgehoben – zum Zeichen, dass er es anerkannte – und ihm nach neun Nächten, wie es Brauch war, einen Namen gegeben. Er hatte das kleine Mädchen Thusnelda genannt, wenn auch kaum in der Hoffnung, es könnte einmal eine »kämpfende Riesin« aus ihm werden. Danach hatte er sich nur noch wenig um seine Tochter gekümmert. Nelda, wie alle sie nannten, wuchs fröhlich und wild mit den Kindern der Verwandten, Gefolgsleute, Bauern und Knechte auf, die hinter dem Wall auf dem Hügel umhertollten, ohne dass sie als Tochter des Herrn und Gaufürsten besondere Vorteile und Beachtung genoss. Ihr Vater war in jenen Jahren oft lange fort. Die Römer gerieten bei ihrem Versuch, die Provinz Germania einzurichten, vielerorts und immer wieder mit den Einwohnern in Konflikt und bedurften zur Schlichtung eines Mannes, der ihnen gewogen war und Autorität besaß. Als Nelda verständig genug war, wurde sie von ihrer Mutter und einigen Tanten zu allem angehalten, was eine künftige Hausherrin können musste, sei es auch nur, um imstande zu sein, die Dienerschaft anzuleiten. Sie konnte bald spinnen, weben, nähen, Brot backen, Bier brauen und das Festgetränk, den Met, in der richtigen Mischung von Honig und Wasser zum Gären ansetzen. Sie konnte töpfern, Gerstengrütze bereiten und Kühe melken. Auch jetzt fiel sie ihrem Vater, wenn er denn zu Hause war, nicht sonderlich auf. Unter den Frauen und Mädchen, den alten und jungen Mägden, die unter seinem Dach geschäftig zwischen dem Herd im Wohnbereich und den Stallungen hin und her wuselten und seine Wirtschaft in Gang hielten, war sie nur eine unter vielen. Eines Tages aber erschrak er fast. Er saß in seinem Armstuhl am Herd und fischte Fleischbrocken aus dem Kessel, als plötzlich die Zehnjährige zu ihm trat, auf ein paar feuerrote Striemen an ihrer mageren Schulter zeigte und ihn in reinstem Latein fragte:
    »Bist du auch der Meinung, Vater, dass ein Mädchen Strafe verdient, weil es lernen möchte?«
    Seitdem war es Frau Male untersagt, den Unterricht zu stören, an dem Nelda nun ständig teilnehmen durfte. Die Mutter versuchte dennoch, ihr Erziehungsrecht zu behaupten, und wies der Tochter oft so viele Aufgaben zu, dass Nelda nach deren Erledigung zu müde war, um zu Priscus zu gehen. Aber eine weitere Beschwerde beim Vater beseitigte auch dieses Hindernis. Nur einmal noch drohte Gefahr, diesmal jedoch für den Griechen. Als beschlossen worden war, dass Segimund für die Aufnahme in das Priesterkollegium am Augustusaltar der Ubierstadt

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