Die Gespenstergruft
Schritt nähergekommen, bis er dicht vor den Grufties stehenblieb. Er war ein Teufel in Menschengestalt. Die Kraft eines anderen Reiches durchflutete ihn, das konnten sie sehr deutlich sehen. Die Augen zeigten keinen menschlichen Blick mehr. Pupillen schienen im Feuer der Hölle zu brennen. In ihnen tanzte und loderte es, als sollten sie im nächsten Moment von den Kräften der Flammen zerrissen werden.
Aber er blieb. Er tat ihnen den Gefallen nicht. Dafür schnickte er mit den Fingern. Für die Grufties war das ein Zeichen. Sie duckten sich, sie wußten schon, daß etwas passieren sollte, aber sie trauten sich einfach nicht, sich in Bewegung zu setzen.
»Drehen!« flüsterte er. »Dreht euch herum! Ich will eure Rücken sehen, und ich will sehen, wie ihr auf die Gruft zugeht. Den Eingang habe ich euch geöffnet. Ihr könnt über die Rutsche hineingleiten. Es ist der einfachste Weg.« Sein Blick konzentrierte sich auf Sady. »Du bist die Chefin hier, und du wirst den Anfang machen!«
Sady hatte längst eingesehen, daß es keinen Sinn hatte, sich zu wehren und sich gegen Serrano zu stellen. Es war besser, wenn sie tat, was ihr geheißen wurde. Noch einmal blickte sie ihre Freunde an, für die sie so etwas wie Verantwortung spürte.
Sie sah in die noch blasser gewordenen Gesichter. Schaute gegen Lippen, die trotz der Schminke aussahen, als wären sie in die Haut hineingekrochen, sie sah das Zucken der dünnen Haut an den Wangen, und ihr war klar, daß sich auch ihre Freunde mit dem Schicksal abgefunden hatten. Die simple Rutsche würde sie alle in eine andere Welt hineinbringen. In ein unterirdisches Reich, das dem Teufel gehörte und Wohnstatt für Höllengespenster war.
Sie blieb für einen Moment vor der rechteckigen Öffnung stehen. Als sie in die Tiefe schaute und die rauhe Schräge dabei mit den Blicken verfolgte, da spürte sie die Tränen in den Augen, und ihr klarer Blick verschwamm.
Sie dachte auch an den Geisterjäger John Sinclair. Erst jetzt wurde ihr bewußt, daß sie vieles falsch gemacht hatte. Sie hätte ihn sofort über ihre Pläne in Kenntnis setzen sollen. Sie hatte es nicht getan und nur auf ihn gehofft.
Leider vergeblich…
»Soll ich dich hineinstoßen?«
Sady hörte Serranos Stimme und stellte fest, daß er verflixt nahe an sie herangekommen war. Sie wollte ihn nicht spüren, er sollte sie nicht anfassen, deshalb antwortete sie: »Das ist nicht nötig. Ich werde von allein gehen!«
»Dann schnell!«
Sady sank in die Knie. Sie ärgerte sich darüber, daß sie zitterte. Nur mühsam hielt sie sich unter Kontrolle. Keiner sollte hören, daß sie weinte. Doch das Zucken ihrer Schultern sagte den anderen genug.
Zuerst schob sie die Beine vor. Dabei dachte sie an ihre Kindheit, denn früher war sie ebenfalls mit den Beinen voran eine der vielen Rutschen im Park hinabgeglitten.
Hier ging es nicht so glatt. Die Fläche unter ihr zeigte ein rauhes Muster.
Es ging nur langsam voran, und sie hatte den Eindruck, in einem gewissen Zeitlupentempo in die Tiefe zu gleiten, wo das Verderben auf sie lauerte.
Dann wurde es um sie herum dunkel.
Und einen Moment später hatte die Gespenster-Gruft das Mädchen Sady verschluckt…
***
Blut – überall Blut und Wunden!
Hinzu kam der Geruch. Leicht süßlich, aber auch irgendwie metallisch.
So genau konnte ihn Walter Cohn nicht identifizieren.
Aber er lebte!
Und das war wichtig.
Sehr wichtig sogar, denn es gab ihm Mut. Obwohl ihn die Gespenster gequält hatten. Er hatte sie gesehen. Sie waren gekommen, sie hatten sich an ihn herangeschlichen, sie waren lautlos durch die Verliese geglitten, und sie hatten sich ihm in allen Variationen gezeigt.
Er hatte sie gesehen. Er hatte sie in allen Variationen kennengelernt. Sie waren Mischungen aus Menschen und Monstren gewesen, regelrechte Ausgeburten der Hölle, die sehr gut in diese alte, verfluchte Umgebung hineinpaßten.
Er war gequält worden.
Er dachte an die spitzen Krallen, die durch sein Gesicht gestreift waren.
Zuerst wie eisige Finger, dann aber stärker, und die hatten es geschafft, seine Haut aufzureißen. Lange Spuren, eingefärbt durch dunkles Blut, zeichneten sein Gesicht. Sie hatten ihm die Kleidung aufgerissen, und sie hatten dabei gelacht.
Jetzt lag er da und wurde seit einiger Zeit in Ruhe gelassen. Überall am Körper spürte er die Schmerzen. Die kleinen Wunden waren zurückgeblieben, als wäre Säure auf seine Haut getropft.
Es brannte…
Walter Cohn hatte versucht, das Blut an
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