Die Gespenstergruft
Tagsüber war es nicht nur heiß, sondern auch schwül gewesen. Gegen Abend hatten sich dunkle Gewitterwolken drohend zusammengezogen.
Es hatte stark geregnet, das Wasser war auf den feuchten Boden geklatscht, hatte einige Flächen sogar überschwemmt.
Nun stieg die Feuchtigkeit in dicken Nebelschwaden hoch, die wiederum lautlos über das Land wallten, die Hügel, die Täler, die kleinen Dörfer und auch den alten Friedhof umschlossen.
Hier hatten sie eine besondere Dichte, so daß die Grabsteine und Kreuze bald nicht mehr zu sehen waren. Sie malten sich höchstens noch als Schatten ab. Hin und wieder schauten die hohen Bäume aus dem grauen Dunst hervor, als wollten sie irgendwen grüßen.
Stille lag über dem Areal. An einigen Stellen roch es auch nach Rauch.
Die Feuchtigkeit hielt sich, die Wärme auch, im Dschungel hätte es nicht schlimmer sein können.
Walter Cohn mochte dieses Wetter nicht. Er war Friedhofswärter, Gärtner und Totengräber in einem. Er gehörte zu den Menschen, die hier schon lange lebten und sich auch nicht fürchteten, denn die Toten taten den Lebenden normalerweise nichts.
Wie gesagt, normalerweise…
Walter hatte kalten Tee getrunken und war durch den schmalen Flur auf die Haustür zugegangen. Wie immer knarrte sie, als er sie öffnete.
Die Kühle des Hauses ließ er hinter sich und ging zwei Schritte vor, um in der nebligen Waschküche stehenzubleiben.
Der Nebel war einfach überall.
Er verteilte sich auf dem Areal, er kroch an den Baumstämmen hoch, er drückte sich gegen die Dächer der Bäume, er schwamm auf dem Boden wie Wasser, und er hatte tausend Hände, mit denen er in die Spalten und Ritzen hineinfaßte, denn jede Lücke sollte von ihm ausgefüllt werden.
Er beherrschte diese Welt, und das wußte auch Walter Cohn. Nebel machte ihm prinzipiell nichts aus. Er fürchtete sich auch nicht vor der anderen Stimmung, die der Dunst brachte, an diesem Abend jedoch dachte er schon anders darüber.
Man hatte ihm mitgeteilt, daß sie kommen würden. Er wußte nicht, wer sie genau waren, er kannte keinen von ihnen persönlich, nur unter dem allgemeinen Begriff waren sie ihm bekannt.
Sie nannten sich Satanisten!
Er schluckte zweimal, als er über diesen Begriff nachdachte. Satanisten waren schlimm, furchtbar, grausam, sie liebten den Teufel, sie verehrten ihn, sie beteten ihn an, und das wiederum konnte Walter Cohn nicht begreifen.
Er wollte auch nicht darüber nachdenken, er hoffte nur, daß es leere Drohungen waren. Er hatte ihnen nicht das Tor geöffnet und glaubte, das Richtige getan zu haben. Sie sollten draußen bleiben, er wollte sie nicht auf seinem Friedhof haben, wo es angeblich spukte, wie ihm zwei Grufties berichtet hatten.
Grufties waren harmlos.
Satanisten nicht!
Walter Cohn rieb seine Hände gegeneinander und ging wieder zurück ins Haus. Er war ein hagerer Mann von dreiundvierzig und lebte allein.
Es lag nicht daran, daß er keine Frau gefunden hätte, nur wollte keine einen Totengräber ehelichen und schon gar nicht in sein Haus auf dem Friedhof ziehen, obwohl man es in dem Gebäude durchaus aushalten konnte, die Miete sehr niedrig war und man sich an die Umgebung ebenfalls gewöhnen konnte. Wenigstens hatte Walter das getan.
Noch immer starrte er in den Nebel. Ein graues Tuch ohne Löcher hing über dem Gelände. Wer sich hier nicht auskannte, würde sich unweigerlich verlaufen. Da hätte selbst Walter Cohn Mühe gehabt, sich zurechtzufinden.
Er drehte sich um und stieß die Haustür auf. Das Wetter war nichts für ihn. Er schwitzte und dachte daran, daß es bald dunkel werden würde.
War das ihre Zeit? Würden sie dann kommen und über ihn herfallen.
Walter wußte nicht, wie groß die Gruppe der Satanisten war, doch in der letzten Zeit bekannten sich immer mehr junge Erwachsene zu diesem Kreis, das wußte Cohn ebenfalls, denn er hatte hin und wieder Berichte im Fernsehen verfolgt.
Sie flößten ihm Furcht ein.
Er ging in die Küche. Seine Gedanken drehten sich um Waffen. Er besaß weder eine Pistole noch ein Gewehr. Wozu auch? Die Toten taten keinem Menschen etwas zuleide.
Er zog die Schublade des Küchenschranks auf. Die Möbel waren alt, seine Schwester hatte sie ihm überlassen, als sie sich eine neue Küche zugelegt hatte.
Die Messer lagen vor ihm.
Küchenmesser von unterschiedlicher Größe. Mal mit schmalen, dann wieder mit langen Klingen. Mal mit einer kleinen Säge versehen, dann wieder glatt geschliffen.
»Nein!« sagte er und rammte
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