Die Götter - Das Schicksal von Ji: Die Götter 4 - Roman (German Edition)
wäre. Nein, ich musste mir eingestehen, dass ich Sombres Gesellschaft vermisste. Es war nämlich noch gar nicht so lange her, dass ich mit dem Kind an meiner Seite durch eben diese Gänge gelaufen war. Der junge Dämon mit dem schwarzen Haar und den schwarzen Augen war damals zwar nicht sehr gesprächig gewesen; er lächelte fast nie und war auch nicht besonders anhänglich. Aber ich brauchte bloß in seine Augen zu schauen, und schon sah ich die Verheißung einer ruhmreichen Zukunft.
Diesmal musste ich mich der Prüfung allein stellen, und unweigerlich breitete sich der Zweifel wie Gift in mir aus. Ich war noch immer fest entschlossen, aus dem Karu zu entkommen, mich zu rächen und meinen rechtmäßigen Platz in der Welt der Menschen einzunehmen. Aber würde meine Willenskraft allein ausreichen, mir diesen Wunsch zu erfüllen?
Die Jahre vergingen in zermürbender Eintönigkeit, doch das Labyrinth entließ mich nicht aus seinen Fängen. Bald fasste ich den Plan, wieder einen Dämon großzuziehen. Ein Wesen, das ich unter meine Fittiche nehmen und nach meinem Ebenbild formen würde. Einen zweiten Sombre, der vielleicht sogar stärker als sein Vorgänger sein würde, vor allem aber treuer. Ich begann nach geeigneten Dämonenkindern Ausschau zu halten und unternahm ein paar Annäherungsversuche. Doch es war verlorene Liebesmüh. Die künftigen Ungeheuer sahen in mir nichts als eine jämmerliche Seele, die sie in sich aufnehmen wollten. Selbst jene, die weit genug entwickelt waren, um sich mit mir zu verständigen, hörten mir gar nicht erst zu. Sie wollten nichts weiter als meiner habhaft werden und mich verschlingen, und sobald sie merkten, dass ich mich ihnen verweigerte, packte sie die blanke Wut. Daher ließ ich meine Pläne fahren und begab mich wieder auf Wanderschaft. Und ich war einsamer denn je …
Ich konzentrierte mich abermals darauf, diesen abscheulichen Ort zu verlassen. Fortan sollte nichts anderes meine Gedanken beherrschen. Immer tiefer drang ich in das Labyrinth ein, in der Hoffnung, irgendwann auf die Höhlen zu stoßen, die sich in der Welt der Sterblichen befanden. Bei meiner ersten Flucht war ich auf eben diesem Weg aus dem Karu hinausgelangt – wohlgemerkt mithilfe von Sombre, der uns unbewusst die Richtung gewiesen hatte. Aber diesen Umstand versuchte ich zu ignorieren oder ihm zumindest keine Bedeutung beizumessen. Es musste doch möglich sein, die Unterwelt ohne die Hilfe eines Unsterblichen zu verlassen. Es musste einfach!
Ich glaubte unerschütterlich an meinen Erfolg, aber das Karu war unerbittlich und spielte mit mir Katz und Maus. Die Gänge veränderten sich in einem fort, und jede Besonderheit, die ich mir zur Orientierung merkte, wurde früher oder später von seiner schwarzen Magie zerstört. Manchmal nahm ich einen Weg, der bergab führte, und kam wenig später an einer Stelle heraus, die höher lag als der Ort, von dem ich aufgebrochen war. Das Karu folgte weder einer Ordnung noch der Vernunft. Es gehorchte allein den Gesetzen des Chaos. Eines Tages oder Nachts, zwanzig Jahre oder länger nach meiner Ankunft, gelangte ich schließlich ins Herz dieses verfluchten Labyrinths und stand vor der Höhle der Undinen, der bösartigen Schlangenwesen, die einst meinen Untergang prophezeit hatten.
Dort erwartete mich eine Überraschung: Sterbliche, echte Sterbliche, verwundbare Wesen aus Fleisch und Blut, boten dem hellsichtigen Dämon die Stirn.
Als ich mich ihnen näherte, wurde mir klar, dass sie meine Anwesenheit nicht bemerkten. Sie konnten mich weder sehen noch hören und zuckten nicht einmal mit der Wimper, als mein körperloser Geist durch ihr Fleisch fuhr. Das war eine schmerzhafte Erfahrung, denn die langen Jahre der Einsamkeit hatten mich beinahe vergessen lassen, dass ich ein Phantom war. Doch als ich unter den Sterblichen einen meiner ältesten Feinde erkannte, vergaß ich alles Leid, das ich ertragen hatte, und spürte eine Woge von Hass und Faszination in mir aufsteigen.
Die Gesetze des Karu erschienen mir plötzlich wesentlich weniger chaotisch. Ich war absichtlich hierhergeführt worden. Die Undinen, ja die Unterwelt selbst, wollten sich an denjenigen rächen, die sich erdreistet hatten, ihren Gesetzen zu trotzen. Von dem Augenblick an ließ ich die Sterblichen nicht mehr aus den Augen. Ich heftete mich an ihre Fersen, strich ständig um sie herum und beugte mich über ihre schlafenden Körper, während sie sich allein glaubten. Vor allem aber sog ich jedes Wort auf,
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