Die Götter - Das Schicksal von Ji: Die Götter 4 - Roman (German Edition)
mir noch blieb, gegen den Drang an. Nachdem ich mich über die Menschen erhoben und wie ein Halbgott gelebt hatte, widerstrebte mir der Gedanke zutiefst, mich zu opfern, bloß um einen winzigen Funken Unsterblichkeit zu erlangen. So drang ich tiefer und tiefer in das Labyrinth ein und strebte immer weiter von den Dämonen fort, die darauf aus waren, meine Seele zu verschlingen. Ich hatte keine Ahnung, wie lange ich ihnen noch widerstehen könnte …
Es war mein Wunsch nach Rache, der mich vorantrieb und mir Kraft gab. Er war die letzte Verbindung zu meinem irdischen Leben, und ich klammerte mich verzweifelt an ihn. Er war meine Zuflucht und schützte mich davor, den Verstand zu verlieren. Nach einer halben Ewigkeit – ich vermag nicht zu sagen, ob nach einem Mond oder einem Jahr – ließen die Dämonen von mir ab, und der Drang, mich mit einem von ihnen zu vereinigen, verging. Ich war frei und konnte mich von nun an unbehelligt im Karu bewegen. Wenn auch nur in Gestalt eines Geists.
Ich hatte nicht vor, an diesem Ort zu bleiben. Schon als ich mich zum ersten Mal in seinen Gängen verirrt hatte, hatte er mich nicht halten können. Auch damals hatte ich einen Ausweg gefunden, und das würde mir wieder gelingen. Es war nur eine Frage der Zeit und Willenskraft.
An beidem fehlte es mir nicht.
» Wir sollten noch warten«, sagte Norester zum wiederholten Male und rieb sich die Augen.
Die Versammlung hatte spät begonnen und zog sich nun schon seit über drei Dezimen hin. Längst hatte sich Dunkelheit über die Straßen Lorelias und den Platz der Reiter gesenkt, und im Versammlungssaal der Grauen Legion brannten die Kronleuchter. Im Kamin glomm ein bescheidenes Feuer. Allerdings war Norester der Einzige, der sich seine Müdigkeit anmerken ließ. Er ärgerte sich über seine Schwäche, doch er kam nicht dagegen an. Seit fast einem Mond fand er jede Nacht nur wenige Dekanten Schlaf.
» Unsinn!«, entgegnete der Herzog von Lermian. » Seid nicht so starrsinnig, Leutnant! Wir wissen doch alle, warum Ihr nicht nachgeben wollt. Ihr seid auf sein Amt aus, das ist alles.«
Diese Attacke verlieh dem Legionär neue Kraft. Er warf dem Adligen einen finsteren Blick zu, ohne an die Folgen zu denken. Ob er es sich mit diesem einflussreichen Mann verscherzte, kümmerte ihn im Augenblick wenig.
» Als sein Stellvertreter führe ich übergangsweise die Graue Legion«, sagte er und betonte jede Silbe. » Nichts würde mir größere Freude bereiten, als wenn Kommandant Derkel in diesem Moment durch die Tür treten und sein Amt wieder aufnehmen würde. Zum Wohle der Legion und weil Amanón mein Freund ist.«
» Hört, hört!«, spottete sein Gegner verächtlich. » Aber er ist jetzt seit fast drei Dekaden mitsamt seiner Familie verschwunden, und die Wahrscheinlichkeit, dass wir ihn jemals wiedersehen, ist nicht sehr hoch. Wir müssen endlich eine Entscheidung treffen.«
Auf der anderen Seite des Tischs nickte Ritter Clestan übertrieben. Als ob die Absichten dieser beiden Herren nicht offensichtlich wären!, dachte Norester.
Alle Welt wusste, dass Herzog von Lermian Amanóns Schwiegervater nicht ausstehen konnte. Herzog Reyan hatte ihn in seinen Theaterstücken allzu oft der Lächerlichkeit preisgegeben. Vielleicht war Reyan einfach zu weit gegangen, denn er war dafür bekannt, sich nicht um gesellschaftliche Gepflogenheiten zu scheren. Jedenfalls witterte von Lermian, der die bevorzugte Zielscheibe von Reyans Spott war, nun eine Gelegenheit, sich zu rächen. Indem er forderte, Amanón, dem Kommandanten der Grauen Legion, das Amt zu entziehen, wollte er dem gesamten Klan derer von Kercyan eins auswischen, auch wenn Reyan und seine Frau ebenfalls verschwunden waren und deshalb gar nichts von seinen Machenschaften mitbekamen.
Bei Clestan sah die Sache anders aus. Er war im Grunde kein schlechter Kerl. Man konnte sogar sagen, dass er seine Aufgaben pflichtbewusst erfüllte. Sonst hätte Amanón wohl auch nicht zugelassen, dass er in der Grauen Legion einen so wichtigen Posten bekleidete. Trotzdem war er ehrgeizig bis in die Haarspitzen und kratzte seit Amanóns Verschwinden unaufhörlich am Thron des Kommandanten. Nur um seinen Aufstieg zu verhindern, hielt Norester weiterhin an der Verwaltung von Amanóns Amt fest, auch wenn das allmählich auf Kosten seiner Gesundheit ging.
» Wie Ihr selbst sagtet«, fuhr der Herzog von Lermian fort, » seid Ihr nur der stellvertretende Kommandant. Und dieses Amt wurde Euch von Derkel verliehen.
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