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Die Grenze

Die Grenze

Titel: Die Grenze Kostenlos Bücher Online Lesen
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rührt sich nicht, geschweige denn, daß sie spräche. Er wendet sich an die übrigen Anwesenden, all die begierigen Augen, die tausend gespannten Gestalten — und auch an dich, Träumer. Nichts, was die Schicksalsgöttinnen bereits gewoben haben, bleibt Ynnir verborgen.
    »Es beginnt«, sagt er. Jetzt ist die Stille der Halle gebrochen. Gemurmel erfüllt den spiegelgesäumten Raum, eine Flut von Stimmen, die immer mehr anschwillt, bis sie von dem dunklen, zu Dornzweigen geschnitzten Gebälk widerhallt. Als sich schließlich lautes Singen und Rufen durch die endlosen Gänge von Qul-na-Qar ergießt, läßt sich schwer sagen, ob dieser schreckliche Lärm ein Triumph- oder ein Klagegesang ist.
    Der blinde König nickt langsam. »Jetzt endlich beginnt es.«
     
    Denk daran, Träumer, wenn du siehst, was folgen wird. Wie der blinde König sagte: Dies ist ein Beginn. Was er nicht sagte, was aber dennoch wahr ist: Das, was hier beginnt, ist das Ende der Welt.

ERSTER TEIL - BLUT

1

Eine Lindwurmjagd
    Der Weg, der sich verengt:
Unter Stein ist Erde,
Unter Erde sind Sterne, unter Sternen ist Schatten,
Unter Schatten sind alle bekannten Dinge.

Aus: Das Knochenorakel, Buch der Trauer (QAR)
    Das Gebell der Hunde verlor sich bereits in den Senken, als er endlich kam. Sein Pferd war unruhig, brannte darauf, der Jagd zu folgen, aber Barrick Eddon riß am Zügel, um das tänzelnde Tier zurückzuhalten. Sein ohnehin schon blasses Gesicht wirkte jetzt vor Erschöpfung fast durchscheinend, und seine Augen glänzten fiebrig. »Reite weiter«, forderte er seine Schwester auf. »Du kannst sie noch einholen.«
    Briony schüttelte den Kopf. »Ich laß dich nicht allein. Ruh dich aus, wenn du eine Pause brauchst. Dann reiten wir beide weiter.«
    Er guckte mit der ganzen Verächtlichkeit eines Fünfzehnjährigen, wie ein Gelehrter unter Dummköpfen, ein Edelmann unter schlammfüßigen Bauern. »Ich brauche keine Pause, Strohkopf. Ich habe nur keine Lust.«
    »Du bist ein elender Lügner«, beschied sie ihren Bruder sanft. Als Zwillinge waren sie sich ähnlich nah wie Liebende.
    »Und außerdem kann sowieso niemand einen Drachen mit dem Speer töten. Wieso haben ihn denn die Wachen an der Schattengrenze durchgelassen?«
    »Vielleicht ist er ja bei Nacht herübergekommen, und sie haben ihn nicht gesehen. Und es ist ja gar kein richtiger Drache, nur ein Lindwurm — viel kleiner. Shaso sagt, bei so einem reicht ein ordentlicher Knüppelhieb auf den Kopf.«
    »Was wißt ihr denn von Lindwürmern, du und Shaso?« fragte Barrick spöttisch. »Die kommen doch nicht jeden Tag über die Hügel getrottet. Das sind doch keine blöden Kühe.«
    Briony nahm es als schlechtes Zeichen, daß er sich den verkrüppelten Arm rieb, ohne auch nur den Versuch zu machen, es vor ihr zu verbergen. Er wirkte noch blutleerer als sonst: die Schatten unter den Augen blau, das Fleisch so dünn, daß sein Gesicht an manchen Stellen regelrecht ausgezehrt schien. Sie fürchtete, daß er wieder geschlafwandelt war, und schon bei dem Gedanken schauderte es sie. Sie war auf der Südmarksfeste aufgewachsen, ging aber immer noch nicht gern nach Einbruch der Dunkelheit durch die hallenden, labyrinthischen Gänge.
    Sie lächelte gezwungen. »Natürlich sind es keine Kühe, du Witzbold, aber der Jagdmeister hat Chaven gefragt, bevor wir losgeritten sind, weißt du nicht mehr? Und Shaso sagt, es gab hier schon einmal so ein Biest, zu Großvater Ustins Zeiten — es hat auf einem Gehöft in Landsend drei Schafe gerissen.«
    »Drei
Schafe! Himmel, was für ein Ungeheuer!«
    Das Gekläff der Meute wurde plötzlich schriller, und beide Pferde traten jetzt nervös auf der Stelle. Jemand blies ein Horn, dessen klagender Ton kaum durch die Bäume drang.
    »Sie haben etwas gesehen.« Auf einmal packte sie Angst. »Oh, barmherzige Zoria! Wenn dieses Untier den Hunden etwas tut?«
    Barrick schüttelte verächtlich den Kopf, wischte sich dann eine schweißfeuchte Locke tiefroten Haars aus den Augen. »Den Hunden?«
    Aber Briony hatte wirklich Angst um die Hunde — zwei von den Hetzhunden, Rack und Dado, hatte sie eigenhändig aufgezogen, und in gewisser Weise waren der Königstochter diese beiden Tiere näher als die meisten Menschen. »Ach, komm mit, Barrick, bitte! Ich reite gern langsam, aber ich laß dich nicht allein hier zurück.«
    Sein spöttisches Lächeln verflog. »Selbst mit einer Hand — dir reite ich jederzeit davon.«
    »Dann tu's doch!« rief sie lachend und sprengte den

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