Die Grenze
um Olin mit einem Hieb seiner Hammerfaust vom Pferd zu fällen. Doch statt den Gefangenen zu bestrafen, hatte Olin den Mut des Südländers bewundert, und als Shaso dann in Südmark fast zehn Jahre Gefangenschaft überlebte, ohne ausgelöst zu werden, war er in Olins Achtung immer weiter gestiegen und schließlich, gegen das Ehrenwort, dem Haus Eddon zu dienen, freigelassen und mit einer verantwortlichen Stellung betraut worden. In den gut zwanzig Jahren seit der Schlacht von Hierosol hatte Shaso dan-Heza seine Pflichten aufs ehrenhafteste und tüchtigste und mit fast schon übertriebener Strenge erfüllt und alle anderen Edelleute so gründlich in den Schatten gestellt, daß er es schließlich bis ins hohe Amt des Waffenmeisters, des königlichen Kriegsministers für sämtliche Marken, aufgestiegen war — was ihm seiner Hautfarbe wegen erst recht verübelt wurde. Solange der Vater der Zwillinge auf dem Thron gesessen hatte, war der ehemalige Gefangene unantastbar gewesen, doch jetzt fragte sich Briony, ob Shasos Stellung — oder auch nur Shaso selbst — die rauhen Zeiten der Abwesenheit König Olins überdauern würde.
Als ginge Shaso ähnliches durch den Kopf, ließ er die Hand sinken. »Du bist ein Prinz von Südmark«, erklärte er Barrick scharf, aber ruhig. »Wenn du ohne Not dein Leben riskierst, schadest du nicht mir.«
Ihr Zwillingsbruder starrte zurück, aber die Worte des alten Mannes kühlten sein Gemüt doch etwas ab. Briony wußte, Barrick würde sich nicht entschuldigen, aber es würde auch keine Handgreiflichkeiten geben.
Die Hunde bellten jetzt noch wilder. Kendrick, der ältere Bruder der Zwillinge, der sich weiter unten am Hang mit Gailon Tolly, dem jungen Herzog von Gronefeld, unterhielt, winkte die beiden zu sich. Briony ritt los, und Barrick folgte ihr. Shaso ließ ihnen ein paar Schritt Vorsprung, ehe auch er sich in Bewegung setzte.
Gailon von Gronefeld — nur ein halbes Dutzend Jahre älter als Barrick und Briony, aber von einer überförmlichen Art, die, wie sie wußte, nur seinen Ärger über gewisse ungewöhnliche Verhaltensweisen ihrer Familie überspielte — zog seinen grünen Filzhut und verbeugte sich. »Prinzessin Briony, Prinz Barrick. Wir waren um Euer Wohl besorgt.«
Sie bezweifelte, daß das die ganze Wahrheit war. Die Tollys standen in der Thronfolge gleich hinter den Eddons selbst und waren bekanntermaßen ehrgeizig. Gailon hatte es zwar bisher geschafft, wenigstens den Schein gebührender Unterordnung zu wahren, aber Briony bezweifelte, daß das für seine jüngeren Brüder, Caradon und den unheimlichen Hendon, ebenfalls galt. Briony konnte nur froh sein, daß die übrigen Tollys offenbar lieber über ihre ausgedehnten Ländereien in Gronefeld herrschten, als hier in Südmark die ergebenen Gefolgsleute zu spielen, und diese Aufgabe ihrem Bruder Gailon überließen.
Brionys Bruder Kendrick schien erstaunlich gut gelaunt, angesichts der Bürde der Regentschaft, die in Abwesenheit seines Vaters auf seinen jungen Schultern lastete. Anders als König Olin vermochte Kendrick seine Sorgen lange genug zu vergessen, um eine Jagd oder ein Schaugepränge zu genießen. Sein Rock aus feinstem sessianischem Tuch war offen, sein goldenes Haar vom Wind verstrubbelt. »Da seid ihr ja«, rief er. »Gailon hat recht — wir haben uns Sorgen um euch gemacht. Es ist so gar nicht deine Art, Briony, dir spannende Dinge entgehen zu lassen.« Er musterte Barricks Trauerstaat und riß verwundert die Augen auf. »Ist die Bußprozession dieses Jahr vorverlegt worden?«
»Oh, ja, ich sollte mich wohl für meinen Aufzug entschuldigen«, knurrte Barrick. »Wie geschmacklos von mir, mich zu kleiden, als ob unser Vater irgendwo in Gefangenschaft säße. Aber, Moment mal — unser Vater ist wirklich in Gefangenschaft. Wer hätte das gedacht?«
Kendrick zuckte zusammen und sah Briony fragend an. Sie machte ein Gesicht, das besagte:
Er ist heute mal wieder schwierig.
Der Prinzregent wandte sich an seinen jüngeren Bruder und fragte: »Möchtest du lieber nach Hause?«
»Nein!« Barrick schüttelte wütend den Kopf, brachte dann aber ein nicht sonderlich überzeugendes Lächeln zustande. »Nein. Alle sind immer viel zu besorgt um mich. Ich will ja nicht unhöflich sein, wirklich nicht. Mein Arm tut einfach nur manchmal weh. Ein bißchen.«
»Er ist ein tapferer Bursche«, sagte Herzog Gailon ohne jeden Spott in der Stimme, aber Briony sträubten sich dennoch die Nackenhaare wie einem ihrer geliebten
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