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Die große Verschwendung

Die große Verschwendung

Titel: Die große Verschwendung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schoemel
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regnerischen Sonntagen die Eltern mit den Kindern Schlange gestanden hatten. Man konnte dort, mit 3D-Brille ausgerüstet, wie es hieß, »mittendrin« erleben, wie das Abschmelzen der Polkappen die Nordseeküste an die Stadt Bremen heranführte. Danach wurde verdeutlicht, wie die Wind- und Solarenergie das alles verhindern könnte, wobei die Sonne für die Solarzellen durch einen drei Kilowatt-Quecksilberdampfspot ersetzt war, der auf diese Weise ganze 300 Watt Sonnenstrom erzeugte. Ein Gebläse lieferte die Nordseebrise, die den Modell-Offshore-Windpark antrieb. Modellschiffe fuhren, unsichtbar durch Magnete im Unterboden geführt, an den Windrädern vorbei. Es gab eine Erdbebencouch, künstliche Nordlichter, Minitornados, Blitze und vieles mehr.
    Allerdings hatten die paar Kinder, die es überhaupt noch gab, diesen Kram inzwischen alle gesehen. Der Globus schrieb plötzlich rote Zahlen, die der Finanzsenator ausgleichen musste. Genau dieser Fall hatte angeblich niemals eintreten sollen, und einige Leute hatten das tatsächlich geglaubt. Die Presse war sehr erstaunt, und Glabrechts Kollege, Wissenschaftssenator Fred Bohnhoff, bei dem das Projekt ressortierte, hielt das alles für eine vorübergehende Krise. Jedenfalls musste er in der Öffentlichkeit entsprechend argumentieren. Er hatte sich für den Erweiterungsbau, den Kosmos , stark gemacht, wo man sich auf allgemein verständliche Art mit dem Weltall und mit den Möglichkeiten der Quantenphysik beschäftigen würde.
    »Der Quantencomputer, eine Million Mal leistungsfähiger als die heutigen Rechner!«
    »Die spukhafte Fernbeziehung von Quanten und die Möglichkeit der Teleportation! Für jeden verständlich!«
    »Werden wir uns wegbeamen können?«
    So weit eine Auswahl der Überschriften aus dem Folder, der für den Kosmos warb. Die »Städtekonkurrenz« verlange die Erweiterung des Globus um den Kosmos , hatte Bohnhoff gesagt, und dieser Meinung war selbstverständlich der gesamte Senat, besonders natürlich Glabrecht und seine Kollegin aus dem Kulturressort, Senatorin Dr. Fröhlich. Man müsse sich »besser aufstellen« als die anderen Städte mit ihren entstehenden Science-Centern , und so weiter, und schließlich habe das alles auch das Gutachten belegt, das man für einhundertachtzigtausend Euro hatte anfertigen lassen. Niemandem fiel auf, wie blödsinnig Glabrecht die eigene Argumentation fand. Wenn in Wolfsburg, Hamburg, Brunsbüttel und so weiter um die Wette diese High-Tech-Disneylands gebaut wurden, wo sollte denn da die ganze Kundschaft herkommen?
    Nun, die Sache war vor über zwei Jahren entschieden worden, Bremen hatte über zweihundert Millionen Euro neue Schulden machen müssen. Da gab es kein Zurück mehr.
    Der Dienstwagen fuhr am Bremer Stadtwald, dann am Bürgerpark vorbei. Glabrecht, das Klemmbrett auf seinem Schoß, hatte bereits eine ganze Seite Notizen zusammengeschrieben über den Verlauf seiner Gespräche in Oslo. Ausführliches würde wahrscheinlich noch im Laufe des Vormittags vorliegen. Dr. Wischmann, der in Oslo mit dabei gewesen war, hatte sich bereit erklärt, noch in der Nacht das Protokoll und den Entwurf für einen Bestätigungsbrief an die Norweger zu schreiben und die beiden Dateien per E-Mail auf dem Behördenserver abzulegen. Dr. phil. Wischmann, kurz »R« genannt, Mitte Dreißig, war Glabrechts persönlicher Referent. Glabrecht hatte ihn, auf Anraten der Bremer Grünen, von der Universität Bremen geholt, wo er, als Lehrbeauftragter für Literaturwissenschaft, jahrelang vergeblich auf eine taugliche berufliche Perspektive gewartet hatte. Jetzt gab es ein schönes Gehalt mit Ministerialzulage sowie die berechtigte Hoffnung auf eine Karriere im politischen Apparat. Beides hatte aus R rasch einen neuen, pragmatisch denkenden Menschen gemacht, der auf sein wissenschaftliches Spezialgebiet, irgendetwas mit »narrativen Theorien«, und auf den gesamten Universitätsbetrieb offenbar nur noch mit Schaudern, etwa wie auf eine überstandene Geisteskrankheit, zurückblickte. Und deswegen arbeitete er bis an die Grenzen des Herzinfarkts. Niemals vor zwanzig, einundzwanzig Uhr verließ er die Behörde, häufig erst viel später.
    3.
    Die Konferenz in Oslo hatte dem neuen »eventkulturellen Projekt«, einem der »größten Entertainment-Cluster in ganz Deutschland« gegolten, und erst dieses Vorhaben würde, wie Glabrecht hervorgeblubbert hatte, »das kulturelle Portefeuille der Stadt« in einer Weise komplettieren, die »die Marke

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