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Die große Verschwendung

Die große Verschwendung

Titel: Die große Verschwendung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schoemel
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Erstes Kapitel
    1.
    Kein Mond schien, keine Sterne waren am Himmel, und dennoch war die Luft eingefärbt vom dunklen, feuchten und schon etwas resignierten Grün des späten Sommers. Es war Mitte August. Bis vor wenigen Tagen hatte es Höchsttemperaturen von weit über dreißig Grad im Schatten gegeben, wochenlang, fast ununterbrochen, noch niemals zuvor in Bremen gemessen. Und immer noch war es ungewöhnlich warm, obwohl während der vergangenen Tage viel Regen gefallen war. Der Dunst, der seit Stunden, offenbar von keinem Windhauch gestört, aus der feuchten Erde gekrochen war, lag schwer und zäh über der Straße, zwischen den Gebäuden, den Zäunen und all den anderen Dingen und brachte sie näher zueinander, wie eine gemeinsam gefühlte Müdigkeit.
    Glabrecht trug weit mehr als jenen grundlosen kleinen Optimismus in sich, den er üblicherweise von Reisen mit nach Hause brachte, so, als könnte dort während seiner Abwesenheit irgendein überraschendes Glück entstanden sein. Ähnlich war das schon früher, damals, wenn er von einer seiner Afrikaexkursionen heimgekehrt und von einer rätselhaften Vorfreude beherrscht gewesen war.
    Dieses Mal hingegen hatte er sich bereits während der gesamten Rückreise von Oslo nach Bremen geradezu schwerelos gefühlt, innerlich wie äußerlich. Er war zweifellos immer noch berauscht von der Begegnung mit dieser jungen Frau, von den Ereignissen des gestrigen Tages. Seine Gefühlsverwaltung hatte offenbar auch in dieser Hinsicht nichts dazugelernt.
    Er hatte den Taxifahrer vorzeitig anhalten lassen, damit er noch ein paar Schritte gehen konnte, entlang der alten Dorfstraße, dann, rechts abbiegend, in die schmale Allee mit den frei stehenden Vorortvillen, den Kastanien und Linden. Von den wenigen, nostalgisch schwachen Straßenlaternen fiel kaum Licht hinauf zu den riesigen Blätterdächern, die sich über der Straße ineinander schoben.
    Dass am Haus das Außenlicht brannte, war eine kleine Aufmerksamkeit von Marianne. Innen war es dunkel, sah man von den Energiesparlampen ab, die ständig eingeschaltet waren, um Einbrecher abzuschrecken. Die beiden jungen Katzen, die Glabrecht neulich adoptiert hatte, kamen ihm entgegen und maunzten. Lilli, einst schneeweiß, war inzwischen etwas nachgedunkelt, Lucie tiefschwarz. Die beiden bewegten sich in einer fast perfekten Choreographie. Sehr dünn waren sie, mit großen Ohren. Glabrecht kauerte in der Hocke vor ihnen, um sie zu streicheln.
    Seinen Kleidersack stellte er ins Ankleidezimmer, den Aktenkoffer in sein kleines Büro, und das Beugen des Körpers, das Zurückbringen dieser Gegenstände an die gewohnten Stellen mitsamt den dabei entstehenden, sich selbst zitierenden Geräuschen – das hatte durchaus etwas solide Gewachsenes, etwas Gesundes in sich. Den Reisewecker und den Beutel mit den zahlreichen Medikamenten in den Händen, bewegte er sich anschließend über den Flur und betrat sein Schlafzimmer. All das tat er sehr leise, um seine Frau nicht zu wecken. Sein Zeigefinger steckte noch im Knoten der Krawatte und war dabei, ihn zu lockern, da hielt Glabrecht inne. Plötzlich wurde ihm klar, dass er sich in Wahrheit deshalb so sacht bewegt hatte, weil er die Ödnis seines tatsächlichen Lebens, die einen viel größeren Raum einnahm, als seine Frau das tat, nicht hatte auf sich aufmerksam machen wollen. Nein, hier war keinerlei Glück entstanden.
    Aus dem Schweigen der nächtlichen Welt drang wenig später, als er im Bett lag und auf den Schlaf wartete, der Tinnitus in sein linkes Ohr, das auf- und abschwellende Feilen, das ihn anfänglich fast in den Wahnsinn getrieben hatte, weil er gedacht hatte, es käme aus den Wänden seines Zimmers. Die erste Übernachtung in einem fremden Haus gab ihm schließlich die Gewissheit, dass das Geräusch in ihm selbst entstand. Inzwischen hatte er es akzeptiert, es gehörte zu ihm, es passte wohl auch zu ihm und seinem Leben.
    Nackt stand er am nächsten Morgen vor dem Waschtisch und spannte immer wieder seine Beckenbodenmuskeln an. Hin und wieder beobachtete er dabei, wie sein Schwanz durch diese Übung in hospitalistische Auf- und Abbewegungen versetzt und dabei langsam dicker wurde, so, als gäbe es tatsächlich etwas zu gewinnen für ihn. Wie immer tat dieser stets optimistische Körperteil so, als sei alles beim Alten. Er sah aus wie neu und behinderte das Vorbeugen des Oberkörpers, so dass Glabrecht, um sein Gesicht nahe genug an den Spiegel zu bringen, gezwungen war, den gesamten

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