Die Händlerin von Babylon
Worte Dinge sind, dass sie fühlbar und präsent sind.«
»Die Sumerer - wir - hier sind Worte mit Macht gleichzusetzen. Wer sie schreibt, beherrscht sie.«
»Und wer sie spricht, lässt sie frei«, ergänzte Cheftu. »Vermute ich jedenfalls.«
»Wobei diese Worte, sobald wir sie freigelassen haben, sich irgendwie in den Köpfen anderer Menschen eingeprägt haben? Eigentlich würde ich behaupten, so was ist unmöglich, aber -«
Cheftu lachte und sagte etwas auf Französisch. Er sah sie an, als erwarte er eine Antwort, und meinte dann auf Sumerisch: »Du kannst kein Französisch mehr?«
Sie schüttelte den Kopf. »Eines dieser Abendessen mit Ela.« »Ich muss gestehen, dass ich kein Englisch mehr verstehe.«
Er hob den Kopf, und Chloe hörte einen Streit in einer ihr unbekannten Sprache. Er sah sie an. »Das war dein Werk. Die da abziehen, sind Franzosen.«
Der Widerpart bei dem Streit - ein gedrungener Mann mit schwarzem Bart - kam auf sie zugeschossen. »Diese Vollidioten!«, brüllte er. »Die haben doch keine Ahnung, wie man eine Stadt anlegen muss!«
Er sprach Sumerisch.
Chloe und Cheftu grinsten einander an. Gott, mit welchem Namen man ihn auch ansprechen mochte, hatte seine Liste der Bürger für diesen Ort erstellt und jeden deutlich gekennzeichnet.
»Wir brauchen Latrinen, damit wir nicht wie Tiere die Straßen verschmutzen, außerdem brauchen wir eine Unterbringung für unsere Kinder und schließlich jemanden, der die Felder bepflanzt. Wenn diese Palmen noch länger im Wasser stehen, werden sie verrotten. Was für eine Verschwendung!«
»Ich bin ganz deiner Meinung«, pflichtete Chloe ihm bei.
Er strahlte sie an. »Wie schön! Endlich jemand, der kein unverständliches Kauderwelsch babbelt!«
Nicht mehr.
Drei Monate später traf auch Nimrod ein. Enki, der schwarzbärtige Mann, hatte die Aufräumarbeiten organisiert. Die meisten Kupferpatienten waren inzwischen entlassen und konnten kleinere Arbeiten erledigen. Eine Müllgrube war angelegt worden, und die Esagila war teilweise abgetragen, um Baumaterial zu gewinnen.
Nach nicht einmal einer Woche hatten sie Nimrod zum Lugal gewählt.
Bis zum Frühling war die Einwohnerzahl des neuen Babylon auf beinahe dreihundert Seelen angewachsen. Die an den geraden Straßen und breiten Boulevards erbauten Häuser waren geräumig und in schönen Farben gefliest. Mit wasserfesten, weil gebrannten Ziegeln.
In der Mitte der wenigen Plätze waren Brunnen ausgehoben worden. Nirg ließ ein Fenster in die Wand ein, aus dem heraus sie Chloes Fleischbällchen sowie andere aus der Hand zu essende Speisen verkaufte. Chloe hatte sich in die Palmen verliebt und brachte den Winter damit zu, jene, die schon halb ausgegraben waren, an Plätze innerhalb der Stadt zu versetzen. Als Nächstes folgten die Bewässerungsgräben.
Eines Nachmittags kam Cheftu, der Nimrod inzwischen als rechte Hand beim Städtebau und als Teilzeit-Richter diente und dabei vor allem die Vertragsabschlüsse überwachte, zu ihr.
»Ich habe zu tun«, sagte sie, nachdem sie ihm einen Kuss gegeben hatte. Ihre Hände waren dreckig.
»Komm mit.«
Sie entschuldigte sich bei den anderen und folgte ihm. Hand in Hand schlenderten sie durch die Palmenhaine nach Süden, dorthin, wo sie zum ersten Mal das eigenartige Leuchten im Himmel über Babylon gesehen hatten.
»Das ist für dich«, sagte er, nachdem sie sich gesetzt hatten.
Chloe sah ihn an und wickelte dann das kleine Päckchen aus. Ein fein gravierter, kleiner Elfenbeinzylinder fiel aus der Hülle. Sie betrachtete die seitlich angebrachte Inschrift und die Zeichnung einer Frau und eines schreibenden Kindes.
»Nimrod möchte, dass du eine Schule, ein Haus der Tafel eröffnest. «
JA!
Das Wort sang förmlich in ihren Adern, es vibrierte mit einem tiefen Unterton von genau. Genau dafür war sie geboren. Für diesen Traum, diesen Augenblick. Kinder, nicht aus ihrem Leib geboren, sondern aus ihrem Herzen. Sie studierte die Gravur durch das Prisma der Tränen in ihren Augen. Das Warum ihrer Zukunft war beantwortet. Das Warum des Hier und Jetzt war beantwortet. Das Warum von allem, angefangen von ihrem ersten Schritt ins alte Ägypten bis zu ihrem vorerst letzten Schritt in diesen Palmenhain, war beantwortet.
Mein ganzes bisheriges Leben hat mich zu diesem Augenblick hingeführt. Hier bin ich daheim.
»Er hat sogar das Logogramm um neunzig Grad gedreht«, flüsterte Chloe, weil die Tränen ihr die Kehle zuschnürten.
»Allerdings. Er hat gemeint, es
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