Beißen für Anfänger 1: Hexenzirkus (German Edition)
1
»Was willst du zuerst machen – deine Aura fotografieren lassen oder die Hexe um einen Zauber bitten?«, fragte ein Mädchen.
Kennt ihr diesen seltsamen Knirps, der in
The Sixth Sense
tote Menschen gesehen hat? Verglichen mit mir ist er Daniel Durchschnitt.
Ein Jugendlicher mit einem schwarzen Rucksack antwortete dem Mädchen. »Ich möchte den Dämonologen kennenlernen. Ich hatte in letzter Zeit eine tierische Pechsträhne. Vielleicht ist ein Dämon daran schuld. Er kann mir bestimmt sagen, ob ich von einem Dämon besessen bin.«
Na schön, der Knirps konnte also Geister sehen – geschenkt –, aber war seine Mutter eine waschechte Hexe?
»Ich weiß nicht, ob Dämonen dir eine Pechsträhne einbrocken könnten, John«, gab das Mädchen stirnrunzelnd zu bedenken. »Das klingt mehr nach einem Fluch. Vielleicht sollten wir als Erstes der Hexe einen Besuch abstatten und dich von ihr auf einen Fluch überprüfen lassen.«
Verbrachte
er
etwa seine Tage damit, mit einer Schaustellertruppe kreuz und quer durch Europa zu reisen, die mehr über Geister, Dämonen und diverse andere paranormale Dinge wusste als über Bankomaten, Handys und die neueste heiße Mieze bei
American Idol
?
Die Stimme des Mädchens bohrte sich in meine irrlichternden Gedanken. »Ich habe gehört, dass sie einen Vampir haben, der jede Nacht das Blut eines Freiwilligen trinkt! Das will ich unbedingt sehen!«
Ach ja, die Vampire hatte ich ganz vergessen. Nicht dass es auf dem Gothic-Markt welche gegeben hätte, aber trotzdem, wo hatte ich nur meinen Kopf?
»He, Lindsay, guck dir mal das Mädchen da drüben an. Sie sieht irgendwie schräg aus. Meinst du, sie gehört zur Show?«
Ich wette, der
Sixth-Sense
-Knabe hat anschließend in einem normalen Zuhause bei einer normalen Mutter gelebt und eine normale Schule mit anderen normalen Kindern besucht. Mann, ich würde liebend gern ein bisschen Tote-Menschen-Seherei in Kauf nehmen, um von so viel Normalität umgeben zu sein.
»Pscht, sie könnte dich hören.«
Das Mädchen und der Junge, beide vermutlich ein paar Jahre älter als ich, blieben vor mir stehen und nutzten die Gelegenheit, mich verstohlen zu mustern. Ich versuchte, so zu tun, als wäre überhaupt nichts seltsam daran, dass ich vor einem Zelt stand, dessen Seite mit einer roten Hand bemalt war, während ich die eigenen Hände in den Hosentaschen vergrub, um sicherzustellen, dass ich nichts berührte. Nichts anfassen, nichts sagen, so lautete mein Motto.
»Ach, denk dir nichts; wahrscheinlich spricht sie nicht mal Englisch. Jedenfalls sieht sie mit ihrer bleichen Haut und den pechschwarzen Haaren nicht normal aus. Meinst du, sie ist eine von den Goths?«
Könnte meine Optik eventuell daher rühren, dass ich einen italienischen Vater und eine hellhäutige skandinavische Mutter habe? Ach wo.
Das Mädchen kicherte. Ich schickte ein kleines Stoßgebet an die Göttin, Imogen ihren Hintern in Bewegung setzen und zu ihrem Stand zurückkehren zu lassen, damit ich nicht länger hier herumstehen und mich von diesen mundanen Trotteln angaffen lassen musste.
Mundan
ist einer der Begriffe, die man aufschnappt, wenn man mit einer Freakshow reist. Er steht für uncoole Leute, für solche, die nicht hip genug sind, um den Schaustellern das Wasser zu reichen.
»Vielleicht ist sie ein Vampir! Sie sieht aus wie einer, findest du nicht? Ich sehe förmlich vor mir, wie sie dein Blut trinkt.«
Ich wandte mich ab, damit sie nicht sahen, wie ich die Augen verdrehte. Es mochte eine Rarität sein, so tief im ungarischen Hinterland auf Amerikaner zu treffen, trotzdem war meine Freude darüber, Landsleuten zu begegnen, bei Weitem nicht groß genug, um gleich nach ihrem Blut zu lechzen. Abgesehen davon wusste doch jeder, dass nur Männer Vampire waren.
»Francesca, es tut mir ja so leid!« Imogens lange blonde Mähne wehte hinter ihr her, als sie an dem Paar vorbei hinter ihren Tisch hastete, wo sie sich die Staffelei und das Schild schnappte, das verkündete, dass sie bereit war, aus Händen und Runensteinen zu lesen. Ohne das Pärchen, das sie beobachtete, zu beachten, stellte sie die Staffelei an der Ecke des Zelts auf und platzierte das Schild darauf, während sie in typischer Imogen-Manier vor sich hinplapperte. Sie sprach mit einem rauchigen, weichen Akzent, der zum Teil britisch, zum Teil etwas anderes war, das ich nicht bestimmen konnte. Allerdings war ich auch noch nicht lange genug in Europa, um mehr zu beherrschen als:
Hallo. Auf Wiedersehen.
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