Die Händlerin von Babylon
die Demütigung immer weiter.«
»I Owe My Soul to the Company Store«, zitierte Chloe. Dann sang sie ihm das Lied vor.
»Diese Methoden wird es also ewig geben?«
Noch nie hatte er so deprimiert geklungen. »Und was tust du, um für all das zu bezahlen?«
»Als Arzt arbeiten.«
Chloe kniff die Augen zusammen. Cheftu hatte der Medizin abgeschworen. Jahrelang hatte er in anderen Bereichen gearbeitet - meist hatte er irgendwelche Geschäfte geleitet. An Davids Hof allerdings hatte er die Position eines Beraters bekleidet. »Das tut mir Leid.«
»Mir auch.«
Ihm zu erklären, dass sie ihn liebte, kam ihr zu platt vor. Darum bewies sie es ihm ein zweites Mal mit Körper, Mund, Worten, Rufen, Tränen.
Danach schliefen sie.
Beim Abendessen beschlich Chloe zum ersten Mal das Gefühl, dass an Samu und Ela irgendetwas eigenartig war. Während Cheftu arbeiten war, bis ihm das Herz brach, hatte Chloe zusammen mit Ela, ihrer Nachbarin und noch dazu eine Buchhalterin, ihre Vertriebsidee weiterentwickelt. Ela hatte vorgeschlagen, einige Reiche zum Essen einzuladen und ihnen die Fleischbällchen zu präsentieren.
Ela als Chloes Geschäftspartnerin richtete die Essen aus; so besorgte sie zum Beispiel das Fleisch. Chloe stellte keine Fragen. Sie hoffte nur, dass es nicht mit Tollwuterregern verseucht war, falls es Rattenfleisch war.
Insgesamt zwanzig Gäste kamen - die Verwandtschaft, dazu ein, zwei entfernte Cousins. Die Cousins arbeiteten in der Sonne und hausten in den Zeltstädten. Sie meinten, mit den Göttern zu speisen.
Als das Essen begonnen hatte, redete jemand Chloe an - auf Aztlantu, einer ihr geläufigen Version des Griechischen. Automatisch antwortete sie. Daraufhin wechselten alle wie auf ein Stichwort hin ins Aztlantische.
Als Cheftu sich erkundigte, wie ihr Essen verlaufen war, vermochte sie nicht mehr zu sagen, ob sie sich den Sprach-wechsel nur eingebildet hatte. Das konnte doch nicht wirklich passiert sein? Oder? Dass sie keine anderen Sprachen gehört hatte, bedeutete nicht, dass da draußen keine anderen Sprachen
gesprochen wurden.
Aber ...? Darum sagte sie nichts - Cheftu brauchte nicht zu wissen, dass seine Frau allmählich den Verstand verlor. Da ist meine Phantasie mit mir durchgegangen, rief sich Chloe zur Ordnung. Wieder mal.
Ihr war bewusst, dass jeder weitere Tod durch die Sonnen-blumenaugen-Krankheit noch mehr an Cheftu zehrte. Er hatte keinen Appetit mehr, keine Lust auf Sex mehr, und er schlief nicht mehr. Schlimmer noch, er hatte aufgehört zu beten.
Dafür hatte Chloe damit angefangen.
Ela hatte Wort gehalten und Chloe hatte mit dem Bemalen von Ziegeln begonnen, wobei sie in der Schicht vom Spätnachmittag bis zum frühen Morgen arbeitete. Zwölf Stunden täglich lauschte sie dem Gerede der Menschen um sie herum. Die Esagila würde alle retten. Ein anderes Thema gab es nicht. Die Kinder würden überleben. Chloe sann über diese Worte nach, während sie einen Ziegel nach dem anderen mit Dämonenverjagendem Blau bemalte. Für die eigenen Kinder würden die Menschen alles auf sich nehmen.
Die Gewalt nahm Furcht erregend zu.
Eines Tages kam eine Frau mit abgehackter Hand zur Arbeit. Eine andere Frau hatte ihren Kindern Brot gestohlen, und es war zum Kampf gekommen. Die andere Frau war tot. Von da an blickte Chloe nicht mehr in die Gesichter der Frauen, die an ihrer Seite arbeiteten - wir sind Ratten, dachte sie. Ratten, die sich unter Unrat und Müll vergraben und das Land kahl fressen.
Cheftu kam inzwischen kaum mehr nach Hause, er erschien nur noch alle paar Tage. Er war abgezehrt und launisch. Chloe verfluchte ihre Entscheidung. Sie hatte sie beide hierher gebracht. Sie war für alles verantwortlich. Sie war krank geworden und schuld daran, dass er sich in die Sklaverei verkaufen musste. Nur ihretwegen setzte er seine Seele diesen Qualen aus.
Als Cheftu heimkam, lag sie schon im Bett und der Mond hatte den Zenit überschritten. Er gab ihr keinen Kuss und erkundigte sich auch nicht nach ihrem Tag. Stattdessen hockte er mit hängenden Schultern und fest verschränkten Fingern auf der Bettkante.
»Chérie, ich glaube, ich habe die SonnenblumenaugenKrankheit.«
Mit einem Satz war sie aus dem Bett und hielt ihm eine Fak-kel vor die Augen. Sie sahen normal aus, aber wie wollte sie das feststellen? Cheftus Augen hatten immer schon jene Kupferfarbe gehabt, zu der die Augen der Kranken wechselten. »Warum? Was soll ich tun? Was -«
»Ich kann mich an nichts mehr erinnern.«
»Wie
Weitere Kostenlose Bücher