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Die Hand die damals meine hielt - Roman

Titel: Die Hand die damals meine hielt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maggie O Farrell
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H orcht. Die Bäume in dieser Geschichte regen sich, sie recken, sie strecken sich im Wind. In Böen weht die Brise vom Meer, und fast möchte man meinen, die rast- und ruhelosen Bäume ahnten, dass etwas geschehen wird.
    Der Garten ist verlassen, die Terrasse leer bis auf ein paar Töpfe mit vom Wind zerzausten Geranien und Rittersporn. Auf dem Rasen steht eine Bank, davor zwei Stühle, dezent von ihr abgewandt. Am Haus lehnt ein Fahrrad, die Pedale ruhen, die geölte Kette dreht sich nicht. Ein Säugling liegt im Kinderwagen, zum Schlafen nach draußen geschoben, fest eingehüllt in einen Deckenkokon, die Augen brav geschlossen. Am Himmel darüber segelt eine Möwe, stumm auch sie, mit ausgebreiteten Flügeln, um sich vom Aufwind emportragen zu lassen.
    Das Haus liegt abseits vom Dorf, hinter dichten Hecken, an der Kante eines Steilfelsens. Hier verläuft die Grenze zwischen Devon und Cornwall, wo sich die beiden Grafschaften argwöhnisch belauern. Es war schon immer ein umkämpfter Landstrich. Würde man zu lange auf den Boden blicken, sähe man, dass er durchtränkt ist mit dem Blut von Kelten, Angelsachsen und Römern, gesättigt vom Schutt ihrer Gebeine.
    Doch unsere Geschichte spielt in friedlicheren Zeiten: Es ist Spätsommer, Mitte der 1950er Jahre. Ein gewundener
Kiesweg führt zum Haus. Auf der Wäscheleine flattern Petticoats und Unterhemden, Socken und Hüfthalter, Windeln und Taschentücher klatschend in der Brise. Irgendwo läuft ein Radio; dumpf dröhnen die Schläge einer Axt.
    Der Garten wartet. Die Bäume warten. Die Möwe, die über der Wäsche am Himmel steht, wartet. Und als wäre das Ganze eine Bühne, als gäbe es ein Publikum, das still davor im dunklen Zuschauerraum sitzt, ertönen plötzlich Stimmen. Geräusche aus der Kulisse. Jemand keift, jemand brüllt, etwas Schweres fällt zu Boden. Die Hintertür fliegt auf. »Ich bin es leid! Hörst du? Ich bin es so was von leid!« Die Tür knallt wieder zu, eine Frau erscheint.
    Sie ist noch keine zweiundzwanzig. Sie trägt ein blaues Baumwollkleid mit roten Knöpfen, ihr Haar ist mit einem gelben Tuch nach hinten gebunden. Mit einem Buch in der Hand stürmt sie über die Terrasse. Barfuß stapft sie die Treppe hinunter und weiter über den Rasen. Sie sieht die Möwe nicht, die sich in der Luft nach ihr umgedreht hat, nicht die Bäume, die mit zitternden Ästen ihr Kommen ankündigen, nicht einmal den Kinderwagen, an dem sie achtlos vorbeirauscht.
    Am Ende des Gartens setzt sie sich auf einen Baumstumpf, und um ihre Wut zu dämpfen, legt sie sich das Buch auf den Schoß und fängt an zu lesen. Tod, sei nicht stolz, beginnt das Gedicht, hast keinen Grund dazu. Bist gar nicht mächtig stark, wie mancher spricht.
    Gebannt beugt sie sich über die Seite, seufzt ein paarmal, dehnt die Schultern. Dann wirft sie das Buch jäh schnaubend von sich. Mit dumpfem Knall landet es auf der Erde, die Seiten blättern zu. Da liegt es nun, mitten im Gras.
    Sie steht auf. Aber nicht so wie jeder andere Mensch, allmählich von der sitzenden in die aufrechte Haltung übergehend.
Sie schießt vielmehr hoch, hält kurz inne und stampft dann mit dem Fuß auf wie Rumpelstilzchen. Als ob sie sich am liebsten zerreißen wollte.
    Erst jetzt bemerkt sie den Bauern, der eine kleine Schafherde am Garten vorbeitreibt, in der Hand eine Gerte. Ein Hund springt um ihn herum. Die Schafe verkörpern alles, was sie an ihrem Zuhause hasst: ihre zerlumpten, verdreckten Hinterteile, die stumpfe Blödheit in ihren Gesichtern, das sinnlose Blöken. Am liebsten würde sie das ganze Pack in eine Dreschmaschine jagen oder über den Steilfelsen, nur um sie aus ihrem Blickfeld verschwinden zu lassen.
    Sie wendet sich ab, weg von den Schafen, weg vom Haus. So dass sie nur noch das Meer vor sich hat. Seit einiger Zeit schon quält sie die schleichende Angst, ihr sehnlichster Wunsch - dass ihr Leben endlich beginnen möge, dass es einen Sinn bekommen und sich all das verwaschene Schwarzweiß in ein Meer herrlicher Farben verwandeln würde - könnte unerfüllt bleiben. Sie befürchtet, den richtigen Moment zu verpassen, die Gelegenheit vielleicht nicht zu erkennen, wenn sie sich ihr böte.
    Sie hat die Augen geschlossen, das Meer und das ins Gras geworfene Buch ausgeblendet, als sie das Tapsen von Schritten hört und eine Stimme »Sandra?« ruft.
    Als hätte sie ein elektrischer Schlag getroffen, fährt sie hoch.
    » Alex andra!«, korrigiert sie. Das ist der Name, den sie von Geburt an getragen

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