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Die Heilerin - Roman

Titel: Die Heilerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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hält.« Ich deutete mit einem Nicken auf den Nachtwächter. Mit dem Gestank würde ich schon zurechtkommen, wenn ich bei der Arbeit so knuddelige Gesellschaft hätte. Womöglich bekam er die Zeit dafür noch zusätzlich bezahlt, was mir vielleicht sein Wohlwollen eintragen würde, sollten wir je wieder im frühmorgendlichen Mondschein zusammenstoßen. »Wie wäre es mit einem Ei pro Reihe ?«
    Der Nachtwächter schürzte die Lippen und nickte. »Klingt doch preiswert, oder?«
    »Nun nimm sie schon fest!«
    Ich hob das Huhn hoch. Es gackerte, flatterte und scharrte vor lauter Panik. Der Nachtwächter schrie auf und ließ das Rapier fallen. Ich rannte, als wäre der Teufel hinter mir her.
    »Stehen bleiben! Diebin!«
    Selbstgerechten Bauern konnte ich davonlaufen, sogar auf ihrem eigenen Grund und Boden, aber diesem Nachtwächter? Seine Hände mochten krank sein, seine Füße und seine Reflexe hingegen funktionierten wunderbar.
    Gerade einen Armschwinger früher als er umrundete ich einen Stapel kaputter Hühnerkörbe. Ohne langsamer zu werden, huschte ich nach links, hastete eine mit Maiskörnern gesprenkelte Reihe von Körben entlang, die parallel zum Bauernmarktkanal verlief. Das brachte mir ein paar Schritte Vorsprung, aber er hatte die längeren Beine. Auf gerader Strecke hatte ich keine Chance, ihm zu entwischen.
    Ich scherte nach rechts aus und zerrte eine leere Marktkiste aus den aufgereihten Körben heraus, sodass sie zwischen mir und dem Nachtwächter zu Boden krachte.
    »Aah!« Ein Bums, ein Bersten, gefolgt von eindrucksvollen Flüchen.
    Ich riskierte einen Blick zurück. Trümmerstücke der Kiste verteilten sich kreuz und quer über den Weg. Der Nachtwächter humpelte ein wenig, aber das hielt ihn nicht sonderlich auf. Ich hatte wieder nur ein paar Schritte gewonnen.
    Vor mir teilte sich die Reihe; hüfthohe Körbe säumten den Weg wie die Mauern der Kanäle, die sich kreuz und quer durch Geveg zogen. Ich schwenkte nach links zur Bauernmarktbrücke, geplagt von heftigem Seitenstechen. Die Insel zu verlassen, konnte ich vergessen. Ich würde es nicht mal schaffen, das Terrain der Hühnerfarm hinter mir zu lassen.
    Ein paar Dutzend Schritte vor der Brücke blockierten weitere Kisten den Weg. Die Kisten waren etwa kniehoch und doppelt so breit. Lose Drähte rankten aus ihnen hervor wie Wasserpfeffer. Wurde auf diesem Gut denn nie aufgeräumt ? Gerade einen Schritt vor dem Nachtwächter machte ich einen Satz, der mich über die Kisten hinwegtragen sollte. Seine Finger streiften den Rücken meines Hemds, bekamen den Saum zu fassen. Ich stolperte, ruderte mit den Armen, suchte nach irgendetwas, das meinen Sturz abfangen konnte.
    Der Boden erledigte das für mich.
    Ich schnappte nach der Luft, die mir entfahren war, und inhalierte eine Lunge voll Staub und Federn. Einen erstickten Atemzug später stürzte der Nachtwächter über die Kisten und landete neben mir auf dem Boden. Getrockneter Mais stob aus einer Kiste und verteilte sich auf der Erde.
    Ich wühlte im Dreck, während er fluchend sein Bein umfasste. Er hatte ein gutes Stück seines Schienbeins an einer der Kisten hinterlassen, und sein sonderbar abgewinkeltes Fußgelenk war zumindest verstaucht, vielleicht auch gebrochen.
    Er sah mich an und setzte ein schiefes Grinsen auf. »Jetzt hau schon ab.«
    Ich stemmte mich hoch, lief aber nicht davon. Er würde meinetwegen seine Arbeit verlieren, und ich nahm an, dass ihm nicht viele Möglichkeiten geblieben sein konnten, wenn er für so einen Geizhals wie Heclar arbeitete. Ich kniete mich zu ihm, ergriff seine Hände, presste die Daumen auf die Knöchel und zog.
    Für einen Moment flammten unsere Hände durch den Heilungsprozess prickelnd heiß auf. Er keuchte, ich stöhnte, dann war sein Schmerz in meinen Händen. Das schlimme Bein ließ ich ihm. Das war immerhin eine gute Entschuldigung dafür, dass er mich hatte laufen lassen, und wenn die Heiligen ihm gut gesinnt waren, würde er sogar seine Arbeit behalten. Wenn nicht, dann hatte ich wenigstens seine Hände geheilt. Heutzutage war es für einheimische Geveger schwer genug, Arbeit zu finden. Schlimme Hände waren da bestimmt nicht hilfreich.
    Mit schmerzenden Knöcheln wandte ich mich ab, ehe ihm klar wurde, was ich getan hatte. Ein Ausdruck der Dankbarkeit in diesem hübschen Gesicht, und ich würde noch andere Dummheiten begehen.
    Ich tat einen Schritt nach vorn, doch ein Schatten versperrte mir den Fluchtweg. Heclar! Er schlug nach meinem Kopf. Ich

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