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Die Heilerin - Roman

Titel: Die Heilerin - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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um ihren Wert zu erweisen. Der neue Erhabene war natürlich ein Baseeri, und wie alle Baseeris in Positionen, die ein Geveger einnehmen sollte, konnte auch ihn niemand leiden. Er war erst seit ein paar Monaten hier, aber schon jetzt wurde er von jedermann gefürchtet. Er führte die Gilde ohne jedes Mitgefühl, und kam ihm jemand in die Quere, so konnte der jede Hoffnung begraben, dass man ihm oder seiner Familie jemals eine Heilbehandlung gewähren würde, sollte es einmal nötig werden.
    »Ihr wollt doch keinen Ärger, oder?«
    »Nein!«
    Ich legte einen Finger an die Lippen. »Ich sage niemandem was, wenn ihr auch den Mund haltet.«
    Sie nickten so eifrig, dass ihre Augäpfel aus ihren Köpfen zu fallen drohten. Aber Jungs in dem Alter können kein Geheimnis für sich behalten. Bis zum Morgen würde die ganze Gilde Bescheid wissen.
    Tali würde mich umbringen.
 
    »Oh, Nya, wie konntest du nur?«
    Wie immer, wenn sie mir böse war, versuchte Tali Mamas enttäuschte Miene zu imitieren. Das Kinn angezogen, die braunen Welpenaugen geweitet, die Lippen geschürzt und zugleich die Stirn gerunzelt. Mama hatte das allerdings besser hingekriegt.
    »Wär es dir lieber, ich wäre ins Gefängnis gegangen?«
    »Natürlich nicht.«
    »Dann vergiss es wieder. Was geschehen ist, ist geschehen, und ...«
    »... auf Nimmerwiedersehen«, beendete sie den Satz an meiner Stelle.
    Ich war drei Jahre älter als sie, was mir normalerweise die nötige Autorität verschaffen sollte, aber seit sie sich der Gilde angeschlossen hatte, vergaß sie ständig, wer die große Schwester war. Und das, obwohl nur wir beide allein übrig waren, aber sie schaffte es irgendwie trotzdem.
    »Sei froh, dass ich entkommen bin.« Ich ließ mich rückwärts in die grünen Sitzkissen fallen. Tali saß auf ihrer Bettkante, gekleidet in die Lehrlingsuniform der Heilergilde. Ihr weißes Unterkleid war ordentlich geplättet, das kurze grüne Leibchen sorgsam geknöpft. Aus dem kleinen Fenster oben in der Wand ergoss sich ein Sonnenstrahl über sie und brachte die geflochtene Silberlitze auf ihrer Schulter zum Funkeln.
    Die Tür zu Talis Schlafkammer war geschlossen, aber nicht schalldicht. Schlurfende Schritte und aufgeregtes Kichern drangen zu uns herein, als andere Lehrlinge sich für den Unterricht bereitmachten. Die Morgenvisite würde bald anfangen, und ich musste mir irgendeine Arbeit suchen, wenn ich heute noch etwas zu essen kriegen wollte. Tali schmuggelte Essen für mich heraus, wenn sie konnte, aber die Gilde zählte jede Kartoffel ab, und die Lehrlinge und Mündel wurden - umso mehr, wenn sie Geveger waren - während der Mahlzeiten streng beaufsichtigt. Hunger hin oder her, ich würde nicht zulassen, dass sie ihre Lehre aufs Spiel setzte, wenn es nicht unbedingt nötig war, und ich musste sie für mehr in Anspruch nehmen als nur ein Frühstück.
    »Hast du heute Vormittag Dienst?«, fragte ich und zappelte im Sonnenschein mit den Zehen.
    Tali nickte, sah mich aber nicht an. Ich glaube, Heilung zu stehlen ängstigte sie mehr, als Lebensmittel zu stehlen, obwohl die Wahrscheinlichkeit, im Speisesaal erwischt zu werden, erheblich größer war.
    »Könntest du?« Ich hob die schmerzenden Hände. Mit den Schmerzen, die mir der Knöchelbrand des Nachtwächters bereitete, hätte ich allenfalls noch als Träger getaugt. Aber niemand würde mich dafür anheuern; ich konnte nicht genug auf meinem Buckel schleppen, um das Geld wert zu sein.
    »Sicher. Komm her.«
    Sie ergriff meine Hände. Hitze blühte auf, und der Schmerz verschwand, sicher verstaut in Talis Knöcheln. Dort würde er bleiben, bis irgendein Aristokrat die Gilde dafür bezahlte, ihn von seinem Schmerz zu befreien. Anschließend konnte sie beides in den Block einleiten. Es war riskant, Schmerz an den Ältesten der Gilde vorbeizuschmuggeln, aber ich konnte den Schmerz nicht selbst in den Block fließen lassen, selbst dann nicht, wenn es mir gelänge, überhaupt an ihn ranzukommen.
    Der Block war eigentlich nicht der richtige Name, aber so wurde das Ding von allen Lehrlingen und rangniedrigen Litzenträgern genannt. Korrekt hieß das Ding »Hochleitfähiges Heilpynvium-Element« oder so ähnlich, was nun wirklich nicht gerade eine knackige Bezeichnung war. Ich hatte den Block nie gesehen, nicht einmal, als Mama noch gelebt hatte, aber Tali sagte, er bestünde aus purem Pynvium, ozeanblau, massiv und so groß wie ein Heuballen. Mit dem Geld, das der Erhabene dafür bezahlt haben musste, könnte ich

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