Die heimliche Päpstin
abenteuerlich überzogen halten, bezeichnend für die ›Dunkelheit‹ des Säkulums ist sie auf jeden Fall.
Dieser kurze historische Abriß soll deutlich machen, daß mein Roman über den Aufstieg eines Adelsgeschlechts in Rom und seine weiblichen Heldinnen sich der schmalen Quellenbasis bewußt ist und sich dennoch um Authentizität bemüht. Diese Authentizität bezieht sich nicht allein auf die Figur der Marozia und ihre Eltern Theodora und Theophylactus, ihre Kinder und Ehemänner sowie auf die Päpste Sergius III. Johannes X. und den ›Bruder‹ Petrus, sondern auch auf den wirtschaftlichen Hintergrund und den Alltag der Menschen und natürlich auf überlieferte Ereignisse wie den Prozeß gegen den Leichnam von Papst Formosus, das Erdbeben und den Einsturz der Lateranbasilika, König Arnulfs Auftritt in Rom und den Kampf der Agiltrud von Spoleto, die zahlreichen Kurzzeitpäpste und die Vernichtung der Sarazenen am Garigliano. Die Herrschergeschichte mit ihren wechselnden Königen und Kaisern wurde nur insoweit angerissen, als sie für die Romanhandlung relevant war. Als eine Art Warlord-Epoche ist sie wenig durchschaubar und zeugt von der äußersten Brutalität der damaligen Zeit, die die Blendung des Gegners offensichtlich für ein probates Mittel hielt, ihn auszuschalten. Insofern ist auch das Gottesurteil zwischen König Hugo und seinem Halbbruder Lambert von Tuszien mit der nachfolgenden Blendung keine Erfindung einer überschießenden Autorphantasie, sondern grausames Faktum der Geschichte.
Was hat mich nun gereizt, die Erzählung vom Aufstieg und Fall der Marozia und ihrer Familie mit all ihren faszinierenden wie schockierenden Details aufzugreifen?
Die beiden Heldinnen der römischen Hurenherrschaft waren mir seit langem, nicht erst seit meinen Erkundungen in der Engelsburg bekannt; sie fehlen in keiner Sittengeschichte der römischen Kirche bzw. des Papsttums und werden meist nicht ohne süffisanten Unterton mit moralinsaurem Beigeschmack berichtet. Ohne Zweifel: Theodora und Marozia (bzw. das, was man von ihnen weiß und was man ihnen nachsagt) geben eine reizvolle und zugleich reißerische Vorlage ab für einen historischen Roman, und zwar nicht nur wegen der pikanten erotischen Zusammenhänge.
Das Unwahrscheinliche und nahezu Unglaubliche ihrer Existenz liefert einen klassischen Plot: Zwei Frauen steigen aus dem Nichts ins Rampenlicht der Geschichte, verhelfen ihrer Familie und sich selbst zur Macht und bestimmen über Jahrzehnte die Politik des Papsttums. Zu Fall werden sie nicht (allein) durch äußere Mächte gebracht, sondern durch ihre eigene Persönlichkeit und die Konflikte, die sich daraus ergeben. Mit ihrem Leben wird, um Goethe in leichter Abwandlung zu zitieren, nicht nur das Unzulängliche Ereignis, mit ihnen zieht uns auch das Ewig-Weibliche hinan, und zwar auf die Ebene narrativer Phantasie.
Anfangs machte ich einen Bogen um den reizvollen Stoff, weil ich ihn für zu reißerisch hielt, weil der Ruf von Theodora und Marozia zu negativ klang: mörderische Huren als Protagonistinnen? Wo bleibt da die sympathische Heldin? Als ich mich dann aber genauer mit der Materie beschäftigte, wuchs die Skepsis gegenüber Liutprands lange nachwirkender Verleumdungskampagne, zumal heutzutage die Sexualmoral eines eifernden Geistlichen kaum noch als Maßstab eines ausgewogenen Urteils dienen kann. Das Medusenantlitz und Medeahaupt der beiden Römerinnen verwandelte sich in ein Bild der ewig-weiblichen femme fatale, der erotisch starken und politisch einflußreichen Frau, die schon immer für Erzähler wie für Leser ein sphinxhaftes Faszinosum darstellte – nach dem Motto: Geheimnis, dein Name ist Weib.
Die ›Begegnung‹ mit der byzantinischen Griechin Aglaia erhöhte dann entscheidend das Interesse an der Geschichte und seinen Figuren. Eine andere Welt kam ins Spiel, ein ganz anderes Schicksal und ein Charakter, der ebenfalls geheimnisvoll und faszinierend zugleich ist, gerade weil er ein Gegenbild zu der femme fatale darstellt.
Gereizt an dem Stoff haben mich darüber hinaus die Düsternis und das Durcheinander dieser Epoche. Man muß sich vorstellen, daß Rom im 9. und 10. Jahrhundert eine Schutthalde der Geschichte war, mit Ruinen und einzelnen Bauwerken aus großer Zeit, die als Steinbruch dienten oder in die sich die restlichen etwa dreißigtausend Einwohner eingenistet hatten. Das Oberhaupt der Stadt war zwar der Papst als Bischof von Rom, doch eine Verwaltung im engeren Sinn
Weitere Kostenlose Bücher