Die heißen Kuesse der Revolution
sein. Er konnte niemandem trauen. Nun musterte er den Schreibtisch sorgfältig, obwohl es nicht in seiner Natur lag, vertrauliche Schriften dort zu hinterlassen. Der angefangene Brief war harmlos. Sonst befanden sich nur ein paar Blätter, eine Feder und ein Tintenfass darauf. Der Brief, den er gestern von Michel erhalten hatte, war in einer verschlossenen Schublade.
Dominic ging zu dem massiven Bücherschrank und zog ein Buch aus dem Regal. Er schlug es auf und holte einen Schlüssel aus dem in die Innenseite des Deckels geschnitzten Fach, dann stellte er das Buch wieder zurück.
Er schloss die Schublade auf und nahm den Brief heraus. Er hatte ihn bereits gelesen, und die Nachrichten waren gar nicht gut. Der Wohlfahrtsausschuss hatte General Carrier angewiesen, die Vendée zu „befrieden“, indem er die ganze Region zerstörte. Michel brauchte den Nachschub dringend und vor Oktober.
Er würde Michel später schreiben, dass er in seinen Bemühungen, den Nachschub früher schicken zu lassen, nicht nachließ, und die Nachricht morgen früh einem Kurier übergeben.
Aus einer anderen Schublade holte er einen Feuerstein und verbrannte Michels Brief.
Da es in der Schublade außerdem noch ein paar Karten gab, verschloss er sie wieder. Dann verstaute er den Schlüssel in dem Buch und seufzte. Eigentlich glaubte er nicht, dass Julianne in seinen Sachen herumschnüffeln würde. Er war einfach nur vorsichtig.
Juliannes Verliebtheit wurde immer größer und immer intensiver.
Sie starrte den marineblauen Himmel des Bettes an. Vor wenigen Sekunden hatte sie die Augen geöffnet und wusste nicht, ob sie freudig erregt oder bestürzt sein sollte. Auf jeden Fall wollte sie nirgends lieber sein als in Dominics Armen.
Plötzlich hörte sie, wie er nebenan herumlief und stützte sich auf einen Ellbogen. Mit dem Rücken zu ihr schob er ein Buch in den Bücherschrank. Dann verschwand er aus ihrem Blickfeld. Eine Tür wurde geöffnet.
Sie ließ sich zurück in die Kissen sinken. Sie mochte nicht viel Erfahrung besitzen, aber sie war nicht dumm. Sie wusste, dass er sie begehrte und brauchte, aber das hieß noch lange nicht, dass er sie auch liebte. Seine kleinen Gesten jedoch stimmten sie zuversichtlich. Wenn er ihr einen keuschen Kuss auf die Schulter oder die Wange gab, hatte sie das merkwürdige Gefühl, dass er sich auch in sie verliebt hatte.
Und doch durfte sie nichts erwarten. Nach seinem Betrug in Cornwall konnte sie ihm einfach nicht aufs Wort glauben. Und selbst wenn sie ihm etwas bedeutete, lag eine Kluft von Klasse, Reichtum und Überzeugung zwischen ihnen. Dominic würde eines Tages eine Frau seines Standes heiraten.
Sie hatte so große Angst vor ihren Gefühlen. Die Verliebtheit durfte nicht stärker werden. Immerhin hatte Dominic sie hintergangen. Er war ein Fremder, ein Spion und ein Tory und außerdem der Earl of Bedford. Julianne war bloß seine Geliebte.
Sie legte ein gutes Dutzend blaugoldener Kissen in ihren Rücken und setzte sich auf. Die seidene Decke schmiegte sie um ihre Brust. Julianne war noch nicht in Dominics Privatgemächern gewesen und fühlte sich wie in einem Palast. Die untere Hälfte der Wände war mit vergoldetem Holz getäfelt, die obere Hälfte bestand aus marineblauen Stofftapeten, die mit goldenen Fäden durchwirkt waren. Von der goldweißen Decke hingen zwei riesige Kristalllüster. Es gab zwei Sitzecken, eine vor einem Kamin mit einem Sims aus Marmor. Neben einem hohen Fenster stand ein Rosenholztisch, draußen konnte sie üppige Gärten erkennen. Auf dem Tisch stand ein Bukett aus gelben und lila Blumen. Sie stammten bestimmt aus seinen Gärten.
Sie sollte ihn verlassen. Sie sollte sich sofort anziehen und zurück zum Cavendish Square gehen. Und dann würde sie den erstbesten Reisenden nach Cornwall bitten, sie in seiner Kutsche mitzunehmen. Dort würde sie wieder wie früher leben. Sie könnte versuchen, ihn zu vergessen.
Aber das alles würde sie natürlich nicht tun, weil sie Dominic wiedersehen wollte. Nach dieser Nacht wollte sie ihm in die Augen schauen. Sie hoffte, darin seine Gefühle für sie lesen zu können.
Das Kleid lag auf einem Stuhl für sie bereit. Sie streifte es über und glaubte zu hören, wie eine Tür zugeschlagen wurde. Sie lief in den Nebenraum, aber Dominic war nicht mehr da.
Sie war sich sicher, dass er gerade erst gegangen war, denn die Tür zu seiner Ankleidekammer stand ebenso offen, wie die zur Eingangshalle. Dieser Raum hier war weniger
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