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Die Henkerstochter

Titel: Die Henkerstochter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Oliver P�tzsch
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Ihre Hände waren erdig von der Arbeit im Garten, sie wischte sich den Schweiß von der Stirn, bevor sie weitersprach.
    »Träumst wieder von den Burschen, ich seh’s dir doch an«, sagte sie. »Schlag dir die Burschen aus dem Kopf. Wird schon genug getratscht im Ort.«
    Sie lächelte Magdalena an, doch die Henkerstochter wusste, dass ihre Mutter es ernst meinte. Sie war eine praktisch veranlagte, geradlinige Frau. Für die Träumereien ihrer Tochter hatte sie nicht viel übrig. Auch, dass der Vater Magdalena das Lesen beigebracht hatte, hielt sie für unnütz. Eine Frau, die ihre Nase in Bücher steckte, wurde von den Männern schief angesehen. Wenn sie dann auch noch die Henkerstochter war und den Burschen schöne Augen machte, war der Weg zu Schandmaske und Pranger nicht weit. In düsteren Farben hatte die Henkersfrau schon des Öfteren ihrem Mann ausgemalt, wie es aussehen würde, wenn er seiner eigenen Tochter die Schandgeige aufsetzen und sie durch die Stadt treiben müsste.
    »Ist gut, Mutter«, sagte Magdalena und stellte den Mörser auf der Bank ab. »Ich trag die Wäsche gleich runter zum Fluss.«
    Sie nahm den Korb mit den schmutzigen Laken und machte sich, begleitet von den nachdenklichen Blicken ihrer Mutter, durch den Garten auf den Weg hinunter zum Lech.
    Gleich hinter dem Haus führte ein schmaler Trampelpfad an Vorgärten, Scheunen und schmucken Häusern vorbei hin zum Ufer, zu einer Stelle, wo der Fluss eine kleine, flache Bucht ausgewaschen hatte. Magdalena blickte auf die wirbelnden Strudel, die sich in der Mitte des Lechs gebildet hatten. Jetzt im Frühling stand das Wasser hoch bis zu den Wurzeln der Birken und schob Äste und ganze Bäume vor sich her. Kurz glaubte Magdalena ein Stück Leinen oder Ähnliches in den braunen Fluten treiben zu sehen, doch als sie genauer hinsah, waren da nur noch Zweige und Blätter.
    Sie bückte sich, nahm die Wäsche aus dem Korb und scheuerte sie über den nassen Kies. Dabei dachte sie andas Fest auf dem Paulusmarkt vor drei Wochen und das Tanzen dort. Besonders an das Tanzen mit ihm ... Erst letzten Sonntag in der Messe hatte sie ihn wieder gesehen. Als sie mit gesenktem Haupt ganz hinten in der Kirche Platz genommen hatte, war er noch einmal aufgestanden, um sein Gotteslob zu holen. Dabei hatte er ihr zugezwinkert. Sie hatte kichern müssen und die anderen Mädchen hatten böse zu ihr hinübergeschaut.
    Magdalena summte ein Lied und klatschte die nassen Laken rhythmisch gegen den Kies.
    »Maikäfer flieg, der Vater ist im Krieg «
    So in Gedanken versunken war sie, dass sie das Schreien zunächst für eine Ausgeburt ihrer Phantasie hielt. Es dauerte eine Weile, bis sie merkte, dass die hohen, klagenden Laute von irgendwo flussaufwärts zu ihr herüberwehten.
     
    Ein Schongauer Holzfäller oben am Steilufer hatte den Jungen als Erstes gesehen. Das Kind hatte sich an einen Baumstamm geklammert, es trudelte wie ein winziges Blatt in der Gischt. Der Holzfäller war sich zunächst nicht sicher, ob das kleine Bündel tief unter ihm in den rauschenden Fluten wirklich ein Mensch war. Doch als es zu zappeln begann und wild um sich schlug, rief er die Flößer um Hilfe, die im nebligen Morgengrauen zu ihrer ersten Fahrt nach Augsburg aufbrachen. Erst kurz vor Kinsau, vier Meilen nördlich von Schongau, war das Ufer flach und der Lech ruhig genug, dass die Männer sich zu dem Jungen vorwagen konnten. Mit ihren langen Stangen versuchten sie ihn aus dem Wasser zu fischen, doch der Junge entglitt ihnen jedes Mal wie ein glitschiger Fisch. Mal tauchte er ganz ab, blieb samt Stamm bedenklich lang unter der Oberfläche, dann kam er wie ein schwimmender Korken an anderer Stelle wieder hervor.
    Noch einmal raffte der Junge sich auf, zog sich an dem glitschigen Baumstamm hoch und streckte seinen Kopf aus dem Wasser, um Atem zu holen. Er reckte die rechte Hand nach der Stange, die Finger streckten sich, doch sie griffen ins Leere. Mit einem dumpfen Geräusch prallte der Stamm an die anderen Stämme, die sich an der Floßlände angestaut hatten. Der Ruck ließ den Jungen den Halt verlieren, er rutschte ab und versank zwischen Dutzenden angeschwemmter Baumriesen.
    Die Flößer hatten in der Zwischenzeit den kleinen Steg bei Kinsau angesteuert. Sie vertäuten in aller Eile ihre Flöße und begaben sich vorsichtig auf den wackligen Grund, den die Baumstämme in Ufernähe bildeten. Das Balancieren auf den rutschigen Stämmen war auch für erfahrene Rottflößer eine Herausforderung.

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