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Die Herrin der Kathedrale

Die Herrin der Kathedrale

Titel: Die Herrin der Kathedrale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Beinert , Nadja
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sämtliche Speisendünste hatten sich mit dem Abgang der Gäste in den Vorhof verflüchtigt. Wie eine breite, stumpfe Klinge fiel das Licht der heraufziehenden Abenddämmerung durch die Fensterschlitze auf sie. Sehnsüchtig folgte ihr Blick den letzten Strahlen der Sonne. Dabei erinnerte sie sich an ein Gespräch mit Erna, in dem diese ihr mit umständlichen Gesten erklärt hatte, dass Kinder nur dann entstünden, wenn sich die Lenden von Mann und Frau tief miteinander vereinten. Volkard aus dem Hardagau war aber nicht tief zwischen ihre Lenden vorgedrungen. Die Jungfräulichkeit besaß sie demnach noch. Diese Botschaft würde den Vater sicher besänftigen. Uta war dennoch bange. Sie hätte den Knappen niemals alleine in den Wald begleiten dürfen. Beim Gedanken an ihn fühlte sie sich schmutzig; ihre brennenden Handgelenke schmerzten noch immer von seinem brutalen Zugriff.
    Uta zog sich die grüne Spange aus dem zerzausten Haar und umschloss sie mit der Hand. Hoffentlich würde die Mutter gleich kommen, um sie vor dem Vater zu beschützen. Gemeinsam musste es ihnen einfach gelingen, den Vater von einer harten Bestrafung abzubringen, hatte sie mit ihrem Ausritt in den Wald doch lediglich das Geheimnis um die zukunftsweisende Schneerose lüften wollen.
    »Wo bist du gewesen?« Hazecha war durch die Tür geschlüpft und rannte mit ausgebreiteten Armen auf die ältere Schwester zu. Ohne deren Frage zu beantworten, empfing Uta die Kleine mit einer Umarmung.
    »Wollen wir mit Wilma spielen?«, fragte Hazecha gespannt, die es kaum abwarten konnte, die in die Jahre gekommene Stute aus dem gräflichen Stall über den Hof zu führen.
    Uta strich der Schwester, deren dunkles Haar und zarte Gesichtszüge sie beinahe wie ihre Zwillingsschwester aussehen ließen, sanft über den Kopf. »Liebes, das machen wir später.«
    Verunsichert griff Hazecha nach einem Zipfel von Utas zerrissenem Oberkleid. »Wann ist später?«
    »Wenn wir das Abendgebet gesprochen haben.« Schweren Herzens schob Uta die Jüngere von sich weg und schaute unruhig zur Tür. »Aber geh doch schon einmal voraus in den Stall und schau, ob Wilma satt ist. Du weißt doch, woran du das erkennst.«
    »Das weiß ich!« Hazechas Gesicht hellte sich auf, und sie machte sich sogleich an eine Vorführung: Zuerst zog sie ihre obere Lippe über die untere, legte dann ihre ausgestreckten Zeigefinger dicht an den Kopf als wären es Pferdeohren, um sie danach leicht nach unten zu senken, genauso wie sie es schon oft gemeinsam bei Wilma beobachtet hatten, wenn diese nach der Fütterung keinen Halm Heu mehr hatte fressen wollen.
    Der Anblick der Schwester rang Uta ein Lächeln ab.
    Da betrat Adalbert von Ballenstedt den Saal.
    Instinktiv zog Uta Hazecha hinter sich.
    »Lass uns alleine«, wies der Graf seine jüngere Tochter an und fixierte dabei das Paar Hände, das Utas Oberschenkel von hinten umklammerte.
    Hazecha, deren Augen sich bereits mit Tränen füllten, krallte sich jedoch nur noch fester an die Schwester. Daraufhin zog Adalbert das Mädchen hinter Utas Rücken hervor und schob es zur Tür. Als Hazecha sich noch einmal erschrocken umwandte, versuchte Uta, ihr ein ermutigendes Lächeln zu schenken, bekam aber kaum mehr als eine Grimasse zustande. Adalbert von Ballenstedt legte den eisernen Riegel der Burgtür um und schritt ungewohnt still auf Uta zu. Sein Gang wurde vom kleinkindlichen Wimmern auf der anderen Seite der Tür getragen. Zwei Armlängen vor seiner Tochter versteifte er sich. Das Dämmerlicht beschien nun ihn.
    Im Blick des Vaters meinte Uta weder Verachtung noch Hoffnung, sondern nur Ausdruckslosigkeit auszumachen. Sie holte tief Luft. »Herr Vater, ich kann Euch erklären …«
    Da klopfte es.
    Uta schöpfte Hoffnung. »Frau Mutter?«
    Doch Adalbert von Ballenstedt wandte den Blick nicht von seiner Tochter ab, als er befahl: »Ich verlange, nicht gestört zu werden!«
    Das Klopfen verstummte. Das Wimmern entfernte sich. Zögerlich setzte Uta erneut an: »Ich kann Euch versichern, dass nicht ich …« Ein Schlag ins Gesicht ließ sie benommen in Richtung der Wand taumeln.
    Graf Adalbert folgte seiner Tochter. »Nichts kannst du, Unwürdige, außer mich vor dem Markgrafen zu blamieren! Doch davon habe ich jetzt genug. Als ob meine Warnung an der Tafel nicht schon ausreichend gewesen wäre!«
    Uta brummte der Kopf vom Schlag.
    »Sprich den Reinigungseid!«, forderte er. »Gott allein weiß, ob du schuldig bist.«
    »Aber …«, hob sie erneut an,

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