Die Herrin von Sainte Claire
erhoffe ich Gnade.«
»Rorik muß von deinen Missetaten nichts erfahren.« Alaine lächelte ihre Stiefschwester schief an. Rorik brauchte nicht von einem weiteren Verrat einer Frau zu erfahren.
Gunnor starrte sie mit traurigen Augen an. Alaine spürte die nackte Angst hinter ihrem ehrfürchtigen Blick.
»Ich werd’ es ihm nicht sagen, Gunnor, und ich bezweifle, ob Gilbert es tun wird. Sollte er noch am Leben sein, hat er wohl anderes im Kopf, wie zum Beispiel sein eigenes erbärmliches Leben zu retten.«
»Warum tust du das für mich?« fragte Gunnor mißtrauisch.
»Ich hab’ meine Gründe«, gab Alaine zu. »Und mein Schweigen wird dich etwas kosten.«
»Natürlich«, höhnte Gunnor. »Das hätte ich mir denken können. Es wäre zuviel verlangt, ganz einfach Güte zu erwarten.«
Alaine zeigte keinerlei Mitgefühl. »Du hast nichts getan, um von irgend jemanden auf Brix oder auf Ste. Claire Güte erwarten zu können, Gunnor.«
Gunnor wandte das Gesicht ab und starrte trübsinnig auf die leere Steinmauer. Die verbitterten Falten, die sich in ihr Gesicht gruben, ließen sie auf einmal wie eine alte Frau erscheinen. Dann drehte sie sich wieder mit gefaßter Miene um.
»Und welches ist der Preis?«
Alaine holte tief Luft. »Du sollst weder auf Brix wohnen noch nach Ste. Claire zurückkehren, um Joanna und Mathilde das Leben zu versauern.«
»Dann frage ich dich, was soll ich sonst tun?« erkundigte sie sich mit scharfem Ton.
»Du mußt die Wahl treffen, wie jede Frau. Sag mir, was zu willst, Gunnor, und ich werd’ mein Bestes tun, es dir zu ermöglichen. Willst du dich vermählen?« fragte sie und überlegte, ob Rorik je einen Mann finden würde, der Gunnors unleidliches Wesen ertrüge. »Oder willst du den Schleier nehmen? Ich werd’ tun, was ich kann, nur um mich und Joanna von deiner Bosheit zu befreien.«
Gunnor schwieg einen Augenblick. Auf ihrer Miene spiegelte sich ihr innerer Kampf. »Mir scheint, ich hab’ keine andere Wahl, als das zu tun, was du mir vorschreibst.«
»Es ist doch keine so große Strafe?« Zum erstenmal schwang ein wenig Mitgefühl in Alaines Stimme.
»Ich mag die Männer nicht«, bekannte Gunnor freimütig. »Gilbert ist genauso wie alle anderen, immer versprechen sie, was sie nicht einhalten können.«
»Also ins Kloster?« schlug Alaine erwartungsvoll vor.
»Die Kirche bedeutet mir nichts – ich will nicht mein Leben unter strengen, verbitterten Jungfrauen fristen.«
»Du mußt aber die Wahl zwischen dem einen oder anderen treffen, Gunnor. Eine Frau hat sonst keine anderen Möglichkeiten auf dieser Welt.«
Gunnor starrte wieder auf die Mauer. Dann gab sie mit hängendem Kopf nach. »Dann muß es eben die Ehe sein, wenn Rorik sich einverstanden erklärt, mir einen Gemahl auszusuchen, wie er es schon einmal versprochen hat.«
»Ich werd’ mein Bestes für dich tun, Gunnor«, versicherte ihr Alaine. »Das verspreche ich.«
Schließlich ließ Gunnor sie in Frieden. Ruth kehrte zurück, umsorgte sie und zwang sie ein paar Schlucke eines bitter schmeckenden Tees zu trinken.
Der Schmerz kehrte zurück, diesmal stärker als zuvor und in kürzeren Abständen. Alaine schloß die Augen und versuchte, an etwas Schönes zu denken, wie Ruth ihr geraten hatte.
Als die Wehen wieder nachließen, kniete Rorik neben ihr, vor Schmutz starrend und zu Tode erschöpft.
»Rorik«, flüsterte sie. Beinahe fürchtete sie, er würde wie eine Erscheinung wieder verschwinden.
Er nahm ihre Hand und lächelte zu ihr herab. »Wie geht es dir, mein Herz?«
Tapfer versuchte sie zu lächeln. »Es geht mir gut. Ist der Kampf vorüber?« wagte sie vorsichtig zu fragen.
»Ja. Gilbert wird uns nie mehr in die Quere kommen.«
»Ist er tot?«
Rorik schüttelte den Kopf. »Nein, nicht tot. Er hat den Schwanz eingezogen und sich auf und davon nach Prestot gemacht. Ich werd’ ihn schon noch ins Gebet nehmen«, versprach er grimmig.
»Und Guillaume?« erkundigte sie sich.
»Er denkt über seine Sünden im Kerker nach.«
»Wirst du ihn hängen?«
»Nein«, erwiderte Rorik, und er lächelte bitter. »Ein Ritter kann nicht wie ein gewöhnlicher Verbrecher an den Galgen gebracht werden, so schwer auch sein Vergehen gewesen sein mag. Er ist Williams Gefolgsmann. William wird über ihn richten.«
Alaine seufzte. Nun war alles vorbei. Sie waren gerettet und wieder beieinander. Das Wunder war geschehen, um das sie gebetet hatte.
Dann runzelte sie besorgt die Stirn. »Du dachtest, ich sei eine
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