Die Herrschaft der Zaren - Russlands Aufstieg zur Weltmacht
Noch als weltlicher Adelsmann probt Fjodor Nikititsch Romanow den Aufstieg, wird jedoch vom Wahl-Zaren Godunow kaltgestellt und unter dem Mönchsnamen Filaret ins Kloster verbannt. Nach Godunows Tod macht ihn der erste Pseudo-Dmitrij 1606 zum Metropoliten von Rostow. Zwölf Jahre später ist er bereits Patriarch, geweiht vom durchreisenden Jerusalemer Oberhirten, und nimmt neben seinem 23-jährigen Sohn Michail auf dem Zarenthron Platz: für 14 Jahre, als »velikij gosudar«, Groß- und Doppelherrscher über Kirche und Reich. Filaret, der umtriebige Mann im Kirchenpelz, wird zum Stammvater der Romanows, die bis 1917 regieren.
Wachsende Widersprüche zwischen Asketen und Mitläufern entladen sich wenige Jahrzehnte später in einem bis heute nicht überwundenen Schisma: Als Patriarch Nikon in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts rituelle Rückkehr zu den griechischen Ursprüngen verlangt und der Zar diese Reform forciert, verweigert der im Norden Russlands einflussreiche Kloster-Klerus den Gehorsam: Die altgläubigen »Raskolniki«, die Spalter, bestehen darauf, ihr Kreuz weiter mit zwei geraden und drei gekrümmten Fingern zu schlagen und nur zwei Halleluja zu singen statt drei. Sie verfluchen die Neuerer – und werden selbst verdammt, verfolgt, gefoltert. Sie enden nicht selten im Feuer wie der Protopope Awwakum, ihr standhaftester Bekenner.
Erst Peter I. , sechster Romanow auf dem Moskauer Thron, stößt die hinderliche Kirche beiseite: Er schneidet den Bojaren die fettigen Bärte ab und befreit die Staatsräson von sakralen Fesseln. Volkswohl wird, bei aller autokratischen Beschränktheit, sein imperiales Credo. Die Nebenregentschaft der Kirche beseitigt er ebenso wie ihre Finanzhoheit: An die Stelle der Patriarchen tritt ein Kollegialorgan, der »Heilige Synod« mit dem vom Zar ernannten Oberprokuror an der Spitze. Die Kontrolle der Kirchengüter versieht ein Klosteramt, das jedoch schon 1720 aufgelöst wird. 1722 befiehlt Zar Peter den Dragoner-Obristen Iwan Boltin nach St. Petersburg. Dessen neues Kommando lautet, künftig Bischöfe, Erzäbte (Archimandriten) und Äbte (Igumene) auf Trab zu bringen, ihnen die Korruption auszutreiben und sie auf die neue Ordnung einzuschwören: Staatsdienst vor Gottesdienst.
Freilich: Der Wille des Herrschers als absolutes Gesetz, die Kirche als sein Werkzeug, die Bibel wichtiger als Traditionsrituale – das ist zu viel der Aufklärung und jedenfalls mehr, als Altgläubige, aber auch der konservative Mehrheitsklerus ertragen mögen. Hinzu kommt massive Reglementierung: Klöster werden verpflichtet, abgediente und kranke Soldaten zu unterhalten, Schulen für Waisen einzurichten, keine Mönche unter Dreißig und keine Nonnen unter Sechzig zu rekrutieren.
Aus Sicht der Raskolniki ist Peter der Große bis in die Gegenwart der »Sohn des Beelzebubs«. Aber auch die Hierarchen der Staatskirche ertragen sein Regiment nur murrend. Der ideologische Grabenkampf zwischen Westlern und Slawophilen, zwischen Erneuerern und Traditionalisten, zwischen Austausch und Abschottung, der in Russland seither regelmäßig Mobilmachung erfährt – hier werden seine Konturen erstmals deutlich sichtbar. Die orthodoxe Kirche ist daran stets beteiligt, oft als Täter, seltener als Opfer. So wird ihre nach innen gewandte, auf Meditation, Fasten und Läuterung gerichtete Facette unter Katharina II. für kurze Zeit Exportgut in Sachen Mission: Zunächst nach Sibirien, später über die Beringstraße nach Alaska ziehen geistlich wie physisch starke Mönche aus Nordrusslands Klöstern.
Wie bei der englischen Konkurrenz sind sie das kollektive Feigenblatt vor der brutalen Landnahme durch kolonialistische Abenteurer und Pelztierjäger. Aber anders als ihre anglikanischen Brüder verbünden sich russische Missionare rasch mit ihren Taufkindern gegen die Ausbeuter der Russisch-Amerikanischen-Kompagnie: »Sie missbrauchen Ehefrauen und deren junge Töchter, sie bringen alle um, die nicht für sie auf Seeotter-Jagd gehen wollen«, berichtet Mönch Makarij Ende des 18. Jahrhunderts nach St. Petersburg. Auf Unterstützung wartet er vergebens. Im russischen Mutterland ist die Kirche zu diesem Zeitpunkt längst wieder sicherer Hort der Reaktion. Von Volk und Intelligenzija ebenso isoliert wie von geistigen Strömungen der Zeit, lehnt sie jegliche Reformen ab. Auf die rasante Verarmung ihrer Schutzbefohlenen reagiert sie kaum mit sozialen Werken, dafür umso öfter mit Rechtfertigung auch ärgster Ausbeutung und
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