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Die Herzogin der Bloomsbury Street

Die Herzogin der Bloomsbury Street

Titel: Die Herzogin der Bloomsbury Street Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Helene Hanff
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Gesicht wieder ausgelöscht. Aber natürlich kann man sich nicht auf die Gesichter der Schwestern konzentrieren, das Bild wird von der grauen Fläche in der Mitte dominiert. Man kann nicht umhin, sich zu fragen, ob Branwell wusste, dass es so sein würde.

Mittwoch, 21 . Juli
    Der Colonel hat sich selbst übertroffen. Ich hatte vergessen, dass ich auf dem Weg nach Stratford, als wir durch Stoke Poges kamen, einen Umweg hatten machen wollen, um Grays Kirchhof zu sehen, bloß weil die »Elegie, geschrieben auf einem Dorfkirchhof« das Lieblingsgedicht meiner Mutter war. Der Colonel hatte es nicht vergessen; er fuhr mit mir zum Abendessen nach Stoke Poges, obwohl die Fahrt dorthin zwei Stunden dauert.
    Wir kamen kurz vor der Dämmerung an. Keine Menschenseele war zu sehen, und als wir den Kirchhof betraten, läuteten die Glocken den Abend ein.
    Grays Mutter ist hier begraben. Er ließ diese Inschrift in ihren Grabstein meißeln:
    Sie hatte viele Kinder, von denen nur eins das Unglück traf, sie zu überleben.
    Die Kirche ist siebenhundert Jahre alt, sehr einfach und schlicht. In den Altarvasen standen frische Wiesenblumen. Wenn man den Mittelgang entlanggeht, schreitet man über die Gräber von Gemeindemitgliedern, die seit Jahrhunderten unter dem Steinfußboden der Kirche begraben liegen, ihre Namen auf den Steinen sind nicht mehr zu lesen.
    Der Colonel schlenderte über den Friedhof und ließ mich allein in der Kirche sitzen. Ich wünschte, meine Mutter wüsste jetzt, wo ich war. Ich kam mir vor wie ein Kind, das von einem neuen Aussichtspunkt aus ruft: »He, Ma! Guck mal, wo ich bin!«
    Die verwitwete Schwägerin des Colonels lebt in der Nähe von Stoke Poges. Sie unterrichtet in London und pendelt vier Stunden am Tag, in dieser Hinsicht sind sie hier so verrückt wie bei uns. Wir fuhren zu ihr nach Hause, um sie zum Essen abzuholen. Sie lebt in einem wunderhübschen ländlichen Vorort, der auch irgendwo in Connecticut sein könnte – so wie Noras Haus irgendwo in Queens stehen könnte. Es ist erstaunlich, wie ähnlich und anonym alle Vororte sind, ebenso wenig voneinander zu unterscheiden wie Autobahnen. Vielleicht liebe ich deswegen die Großstädte. In London gibt es keine Häuserzeile, die man mit New York verwechseln könnte. In Manhattan gibt es keinen Wohnblock, der einen auch nur eine Minute lang an London erinnert.
    Wir aßen in einem sehr schönen Pub zu Abend, der The Jolly Farmer hieß. Der Begriff »Pub« ist sehr elastisch, er kann eine Eckkneipe bezeichnen, eine Bar mit Grill, eine Cocktailbar oder ein teures Restaurant. The Jolly Farmer ist wie ein typisches Landrestaurant in Connecticut: ausgezeichnet, teuer und ungeheuer atmosphärisch. Ich bestellte Krabben-Curry, und als ich dem Geschäftsführer sagte, er sei besser als mein selbst gemachter Curry, schenkte er mir ein Glas seiner eigenen Curry-Paste.
    »Können Sie mir erklären«, sagte des Colonels Schwägerin beim Kaffee, »warum alle Amerikaner Grays ›Elegy‹ so sehr bewundern?«
    Wusste offen gestanden gar nicht, dass das der Fall ist. Abgesehen von meiner Mutter habe ich nie einen Amerikaner von dem Gedicht sprechen hören. Aber die Schwägerin des Colonels lernt eine größere Bandbreite von Amerikanern in Stoke Poges kennen, als ich je in Manhattan kennen lernen werde, und sie kommen alle wegen Grays »Elegy« hierher, also glaube ich ihr. Und weil ich nicht das moralische Rückgrat hatte zu sagen: »Ich weiß es nicht«, erklärte ich ihr aus dem Stegreif das Phänomen.
    »Wir sind eine Nation von Einwanderern«, sagte ich. »Unsere Vorfahren waren die armen und verachteten Massen Europas und Afrikas. Wir sind zur Schule gegangen und haben englische Lyrik studiert, und die Dichter, die wir lasen, haben die Aristokratie besungen: Könige und Königinnen und Sidneys Schwester, Pembrokes Mutter und die Türme von Oxford und die Sportfelder von Eton. Mit Ausnahme von Gray. Gray hat die stummen, ungerühmten Namenlosen besungen. Und da alle Amerikaner von stummen, ungerühmten Namenlosen abstammen, bringt er in uns wahrscheinlich eine Saite zum Klingen.«
    Ich hoffe, das stimmt so, denn sie und der Colonel glaubten mir. Ich glaubte es sogar selbst. War so angetan von meiner eigenen Redegewalt, dass ich auf der Rückfahrt zu überlegen begann, ob ich mit meiner Erklärung für die Zuneigung der Amerikaner zu Gray auf den Schlüssel zu der englischen Leidenschaft für Dickens gestoßen war. Shakespeare bewundern sie zwar, aber Dickens ist

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