Pandaemonia 02 - Die Stadt der Seelen
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Die Alte Arena
D utzende waren gekommen, um den Ghul zu sehen. Drängelnd bevölkerten sie den kleinen Platz und glotzten zu dem Käfig empor, der auf der Wagenpritsche stand. Ein paar Halbwüchsige bewiesen sich gegenseitig ihren Mut, indem sie Stöcke durch die Gitterstäbe stießen und den Ghul so lange reizten, bis er feindselig fauchte und mit seinen Krallen nach den Angreifern schlug. Wenn er vor Zorn zu toben begann und drohte, den Käfig umzuwerfen, hob der Besitzer des Wagens seine Karbidlaterne hoch, woraufhin der Untote schmerzerfüllt zischte und geblendet in eine Käfigecke zurückwich.
Der Mann mit der Lampe war ein rotgesichtiger Kerl, ein Bierkutscher, der eine Melone und ein Leinenhemd mit hochgekrempelten Ärmeln trug. Breitbeinig stand er auf dem Wagenbock und prahlte mit seiner Heldentat: »… bin gerade auf dem Weg zum Stall, um die Pferde zu füttern, wie ich’s jeden Morgen tu. Es ist stockdunkel und schüttet wie verrückt, deswegen seh ich unseren Freund hier erst, als er plötzlich vor mir steht, als wär er aus dem Nichts aufgetaucht. Jeder andere hätte sich vor Angst in die Hosen gemacht und wär gerannt wie der Teufel, aber nicht der alte Calver, oh nein. Hab nämlich Mumm in den Knochen, und das nicht zu knapp. Ich frag mich also: Was, wenn das Viech zum erstbesten Haus geht und vor lauter Hunger über die Leutchen in ihren Betten herfällt? Nicht mit Calver, denk ich mir, und brat dem hässlichen Kerl
eins mit dem Gewehrkolben über, Tessarion ist mein Zeuge. Hab nämlich zum Glück meine alte Flinte dabei. Aber glaubt ihr, er kippt um? Anspringen tut er mich und will mir das Fleisch von den Knochen reißen! Das glaubt ihr nicht? Dann seht euch mal das an …« Der Bierkutscher knöpfte sein Hemd auf und entblößte eine Wunde auf seiner Brust, vier rote Striemen, wo ihm die Ghulkrallen die Haut aufgerissen hatten. Die Menge raunte. Sichtlich zufrieden mit der Reaktion ließ der Mann das Hemd offen und fuhr fort, seinen Kampf mit dem Ghul zu schildern, bis zu dem Moment, als es ihm endlich gelungen war, ihn zu überwältigen. Tosender Beifall schloss sich an.
Vivana stand in der hintersten Reihe und rieb sich die Arme. Ruac, ihr Tatzelwurm, hatte es sich auf ihren Schultern bequem gemacht und schmiegte seinen schwarz geschuppten Schlangenleib um ihren Nacken. Sie fror, obwohl das Unwetter längst vorüber war und ein warmer Sommertag zu Ende ging.
Der Bierkutscher widerte sie an. Er stand hier und brüstete sich mit seinem Sieg über den Ghul und ahnte nicht, dass ihn nur Glück oder purer Zufall davor bewahrt hatte, in Stücke gerissen zu werden. Das nämlich wäre geschehen, wenn er auch die anderen Ghule getroffen hätte, die nach ihrem Angriff auf Lady Sarkas Palast im Morgengrauen durch die Gassen gestreift waren. Sei froh, dass du nicht erlebt hast, was ich erlebt habe , dachte sie finster. Sonst würdest du deine Klappe nicht so weit aufreißen.
Eigentlich hatte sie dem Bierkutscher gar nicht zuhören wollen. Doch die Schrecken der vergangenen Nacht waren noch zu lebendig, als dass sie an dem Käfig mit seinem abscheulichen Gefangenen einfach hätte vorbeigehen können. Sie musste das Geschöpf nur ansehen, und schon stürzte eine Flut von Bildern und Geräuschen auf sie ein. Feuer. Schreie. Wirbelnde Schatten. Krähen, die unter der Kuppel kreisten
wie ein schwarzer Mahlstrom. So als wäre der mörderische Kampf gerade erst vorüber.
Sie schloss für einen Moment die Augen. Sie stand immer noch vollkommen neben sich. Vermutlich würde es Tage dauern, bis sie sich von dem Grauen erholt hatte.
Vivana wurde bewusst, dass der Ghul sie über die Schaulustigen hinweg anstarrte. Der Untote umfasste die Gitterstäbe mit seinen Klauenhänden und öffnete das von gelben Fangzähnen bewehrte Maul zu einem Fauchen. Unwillkürlich wich sie einen Schritt zurück. Erkannte das Wesen sie etwa?
Sie fand es nie heraus, denn in diesem Moment drehte der Bierkutscher schimpfend seine Lampe heller, und das Zischen des Geschöpfs verwandelte sich in ein qualvolles Kreischen. Die Jugendlichen johlten und piesackten den Ghul nun umso heftiger mit ihren Stöcken, zur Begeisterung der restlichen Zuschauer.
Vivana hatte genug. »Lass uns gehen, Ruac«, murmelte sie und bahnte sich einen Weg durch die Menge. Die Sonne stand bereits tief über den Dächern des Viertels, und es gab noch viel zu tun.
Zum Beispiel musste sie sich überlegen, was sie ihrer Tante sagte.
Etwas Schreckliches ist
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