Die Himmelsmalerin
dieses Mal mit Wasser zu verdünnen, bevor sie den Becher dem Vater reichte. Wenn er zu viel Wein trank, wurde sein Gesicht heiß und rot, und er fing an zu schnaufen. Besorgt musterte sie ihn von der Seite. Heinrich sah alt aus. Sein Haarschopf, der in ihrer Kindheit so rot wie ihr eigener geleuchtet hatte, war vollständig ergraut, und die Hände, mit denen er die schwere Hacke schwang, lagen krumm wie Klauen auf seinen Knien. Aber das war es nicht, was ihr Sorgen bereitete.
»Sag Lena«, flüsterte er. »Ist die Welt so bunt, wie ich denke?«
»Ja, sehr bunt«, wisperte sie. »Wie Edelsteine. Wie … Glasfenster.« Eine Last senkte sich auf ihr Gemüt.
»Schon gut«, murmelte er und legte seine schweren Hände auf ihre. Die feinen, lehmverschmierten Finger verschwanden in seinen Pranken, und Lena musste ihre Tränen wegblinzeln.
»Wir schaffen das schon.«
Aber wie bloß?, dachte sie, sagte jedoch nichts, sondern verdrehte stattdessen die Augen. Denn von rechts näherte sich Marx Anstetter, breitete seinen Mantel aus, der aus feinstem Tuch bestand, und ließ sich elegant an ihrer Seite nieder. Seine Beine steckten in zweifarbigen Hosen, das eine Bein blau, das andere grün. Das war der letzte Schrei aus Frankreich. Eingekesselt zwischen ihrem Vater und ihrem Bewerber biss sie herzhaft in ihre Pastete und betrachtete Anstetter verstohlen. Wie konnte man nach einem halben Tag im Weinberg noch immer aussehen wie aus dem Ei gepellt und riechen, als käme man gerade aus der Badestube? Nur, wenn man nichts geschafft hat, dachte sie. Anstetter schob seinen modischen Hut in den Nacken und wischte sich über die Stirn. Am Ringfinger der rechten Hand trug er einen kostbaren Rubin, der das Sonnenlicht einfing und blitzend in der Luft verteilte.
Hoch oben am Himmel stand eine Lerche und jubilierte ihre Freude über den prächtigen Sommertag in die Welt. Unten auf dem Neckar wurde gerade Holz in Richtung Stadt geflößt. Die Baumstämme bedeckten den graugrünen Fluss an der Biegung fast vollständig. Wenn man ganz still war, konnte man die Kommandos der Flößer hören, die von Baumstamm zu Baumstamm sprangen, um die festgehakten Stämme vom Ufer zu lösen. Und die Lerche noch dazu. Aber Anstetter war nicht still. Das war er nie.
»Sagt, Luginsland, wann kommt er nun, der französische Geck, der uns den Auftrag für das Fenster in der Franziskanerkirche vor der Nase weggeschnappt hat?«
Heinrich Luginsland schüttelte den Kopf und lachte leise. »Einige Tage wird es schon noch dauern. Er kommt aus dem Burgundischen, hat mir der Prior erzählt.«
»Und Ihr wollt ihm wirklich Eure Werkstatt zur Verfügung stellen, mit allem Drum und Dran?«
»So lautet die Abmachung.«
Anstetter machte eine Pause, die tiefste Missbilligung ausdrückte. Lena wusste, wie wichtig die Vereinbarung mit den Franziskanern war. Sie brauchten die Miete für die Werkstatt dringend.
»Nun, Jungfer Lena.« Anstetter strich sich die dunklen, glatten Haare aus dem Gesicht. »Wollt Ihr mir nicht auch eine dieser schmackhaften Wildpasteten reichen, die Eure Martha so köstlich zubereitet hat?«
Er lächelte und ließ seine beiden vorstehenden Vorderzähne sehen, die Lena zusammen mit dem fliehenden Kinn immer an ein Frettchen erinnerten. Lena tat der Höflichkeit Genüge, reichte ihm eine Pastete und füllte seinen Becher mit ihrem guten weißen Hauswein, der in Windeseile Anstetters Schlund heruntergurgelte. Lena sah seinen Adamsapfel beim Schlucken auf und ab hüpfen.
Wie ein gieriger Specht, dachte sie spöttisch.
»Euer guter Neckarwein macht es mir leicht, um Eure Tochter anzuhalten, Meister Luginsland.« Er rülpste leise.
»Wenn Ihr dem Wein weiter so zusprecht, Meister Anstetter, wird er nicht bis zur Hochzeit reichen«, sagte Lena. »Dann ist unser Keller nämlich leer.«
Ihr Vater drückte warnend ihre Hand. Wir können ihn nicht mehr lange hinhalten, hieß das.
»Oh, mich lockt nicht nur der Wein …«, sagte Anstetter nachdenklich und ließ seine Augen über ihren Körper wandern.
Lena wurde das Flusstal zu eng. Sie stand auf und trat an den Steilhang, der seit hundert Jahren terrassiert und mit Weinstöcken bewachsen war. Es war nicht nur der Wein, der Anstetter anzog, und ganz gewiss nicht ihre eigene kratzbürstige Person, auch wenn der Kerl noch so lüstern tat. Es war die gutgehende Glasmalerwerkstatt, die Aufträge aus dem ganzen Württembergischen und aus so mancher Reichsstadt erhielt. Nur derzeit gingen fast keine ein,
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