Die Hirnkoenigin - Roman - Ausgezeichnet mit dem Deutschen Krimipreis
zurück. Ihre Handynummer besaß nur ein einziger Mensch: Freddy Lehmann, der Kleinganove, den sie - und eine Menge anderer Journalisten - dafür bezahlte, dass er rund um die Uhr das Ohr, mit dem er gerade nicht im Gefängnis war, am Polizeifunk hatte.
Kyra zerrte ihre Tasche unter dem Sitz hervor. Berlin oder Mykene? Große Oper oder kleines Verbrechen? Altbekannte Rache oder die Aussicht auf frischen Mord?
Und folg ich dir nicht und schlachte, schlachte, schlachte Opfer um Opfer?
Kyra gab sich einen Ruck. Sie warf Franz ein entschuldigendes Lächeln zu, ignorierte die unterdrückten Flüche des Ehepaars, das neben ihr saß, und schob sich in Richtung Ausgang.
»Kacke.« Der Mann mit der Kamera trat wütend gegen den schmiedeeisernen Zaun. »Ich hasse diese Bonzenvillen. Viel zu viel Grundstück drumrum und viel zu viel Bäume. Da brauchste ja n Tele wie n U-Boot, um n anständigen Schuss zu machen.«
»Locker bleiben, Mann.« Sein Textkumpel von derKonkurrenzzeitung, der zeitgleich mit ihm am Tatort eingetroffen war, warf einen skeptischen Blick auf die drei Einsatzwagen, die mit kreisenden Blaulichtern in der Einfahrt standen. »Passiert doch eh wieder nix.« Er holte eine Packung Zigaretten aus der Innentasche seines Wildlederblousons und steckte sich eine an.
Der Fotograf ging in die Hocke. In unbequemem Winkel schob er sein Kameraobjektiv durch die Gitterstäbe. »Mann, wenn das wieder so n Scheißtipp is wies letzte Mal, kauf ich mir den Freddy. Weißte noch, die Sache mit den Vietnamesen, warste doch auch dabei.«
»Klar, Mann.« Der andere Journalist paffte gelassen vor sich hin. »Aber das Ding im Mai, das Ding mit dem Rumänen, ich sag dir, das war noch ne viel größere Wichse. Freddy total aufgeregt, du Dieter, ganz große Sache, ey, Geiselnahme, zwo kleine Kinder GSG-9-Einsatz mit allen Schikanen. Ich natürlich nix wie raus aus m Bett, rin inne Kiste, heiz nach Marzahn, und wie ich dann hinkomm -«, der Mann im grünen Wildlederblouson ließ die Zigarette aus dem Mund fallen und kickte sie durch die Gitterstäbe hindurch, »- da hatte sich dieser Rumänenwichser doch einfach gestellt. Kein einziger Schuss. Nix. Totaler Griff ins Klo.«
»Kacke, Mann«, sagte der Fotograf und drehte an seinem Objektiv.
Kyra rannte Unter den Linden entlang. Die verstreuten Sommernachts-Touristen schauten sie an, als erwarteten sie im Gefolge das Mütterchen, dem die Handtasche, die sie unter den Arm geklemmt hielt, eigentlich gehörte.
Kyra war froh, dass sie keine Zeit gehabt hatte, sich opernfein zu machen. Der 500-Meter-Stiletto-Sprint war nie ihre stärkste Disziplin gewesen. Trotzdem verfluchte sie sich dafür, dass sie ihre Giulia nicht auf dem Mittelstreifen vor der Oper, sondern in der Zeitungstiefgarage geparkt hatte. Wahrscheinlich war sie sowieso schon zu spät, weil Freddy sie wieder einmal erst angerufen hatte, nachdem er seine ganzen Boulevard-Spezis durchtelefoniert hatte. Freddy. Eines nicht allzu fernen Tages würde sie ihm das linke Ei abschneiden, stramm anbraten und an seinen Mastino verfüttern.
Keuchend bog Kyra in die Neustädtische Kirchstraße ein. Das Blut hämmerte in ihren Ohren. Natürlich hatte diese ignorante Ratte von einem Informanten keine Ahnung gehabt, wie heiß die Nachricht war, die sie ihr geflüstert hatte. Wenn im Hause Konrad wirklich ein Mord geschehen war, und wenn es sich wirklich um das Haus Konrad im Wildpfad 30 handelte, dann war es sehr gut möglich, dass ihre Zeitung, an deren Haupteingang sie gerade vorbeirannte, morgen einen neuen Chefredakteur brauchte.
Ein fernes Blitzlichtgewitter begrüßte Erika Konrad, als sie, flankiert von zwei Beamten in Uniform, über die Schwelle ihrer Villa trat. Die Berliner Zeitungsmeute, die sich hinter dem Grundstückszaun zusammengerottet hatte, begann zu kläffen, dass die Hunde am benachbarten Grunewaldsee verstummten.
»Frau Konrad, haben Sie Ihren Mann ermordet?«
»Gibt es noch weitere Tote?«
»Hey, schau mal her!«
»Haben Sie es allein getan?«
»Hatte Ihr Mann eine Geliebte?«
Erika Konrad blickte lächelnd geradeaus. Stumm ließ sie sich zu dem Streifenwagen führen, der sie von diesem Ort ein für alle Mal wegbringen würde. Ohne den geringsten Widerstand zu leisten, stieg sie in den Wagen.
Sie war stolz. Zum ersten Mal in ihrem Leben war sie wirklich stolz auf sich. Und das machte sie glücklich. So glücklich, dass sie keinen Drang verspürte, ihr Gesicht zu verbergen, als der Wagen die
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