Die historischen Romane
Geschichte hochgehen lassen.
Wenn das Problem diese Seinsabwesenheit ist, wenn Sein das ist, was sich auf vielerlei Weise sagen lässt, dann gibt es umso mehr Sein, je mehr wir reden.
Traum der Wissenschaft: dass es wenig Sein gäbe, konzentriert und sagbar, E = mc 2 . Irrtum. Um sich zu retten, seit Anbeginn der Ewigkeit, muss man wollen, dass es ein planloses Sein gibt, ein Wild-Drauflos-Sein, verschlungen wie eine von einem betrunkenen Seemann verknotete Schlange. Unentwirrbar.
Erfinden, wie besessen erfinden, ohne auf Zusammenhänge zu achten, so dass man's nicht mehr resümieren kann. Ein simples Staffettenspiel zwischen Symbolen, eins ergibt das andere, pausenlos immer weiter. Die Welt zerlegen in eine Sarabande aneinandergereihter Anagramme. Und dann an das Unsagbare glauben. Wäre das nicht die wahre Lektüre der Torah? Die Wahrheit ist das Anagramm eines Anagramms. Anagrams = ars magna.
So muss es gewesen sein in diesen Tagen. Belbo beschloss, das Universum der Diaboliker ernst zu nehmen, aber nicht aus Übermaß, sondern aus Mangel an Glauben.
Gedemütigt von seiner Unfähigkeit zur Kreation (und sein ganzes Leben lang hatte er die frustrierten Wünsche und die nie geschriebenen Bücher als Metaphern füreinander benutzt, immer im Zeichen seiner vermeintlichen Feigheit), wurde ihm jetzt auf einmal bewusst, dass er, indem er den Großen Plan erfand, tatsächlich etwas erschaffen hatte. Er war dabei, sich in seinen Golem zu verlieben, und fand darin einen Trost. Das Leben – sein Leben und das der Menschheit – als Kunst, und in Ermangelung von Kunst die Kunst als Lüge . Le monde est f ait pour aboutir à un livre (faux). Aber an diese Lüge, an dieses falsche Buch versuchte er nun zu glauben, denn, wie er geschrieben hatte, wenn es eine Verschwörung gäbe, wäre er nicht mehr feige, besiegt und verächtlich.
So erklärt sich, was dann geschah. Er benutzte den Plan, dessen Irrealität ihm bewusst war, um einen Rivalen zu schlagen, den er für real hielt. Und als er dann merkte, dass der Plan ihn erfasste und nicht mehr losließ, als ob er tatsächlich existierte, oder als ob Belbo aus demselben Stoff gemacht wäre wie sein Plan, da fuhr er nach Paris wie zu einer Enthüllung, einer Revanche.
Jahrelang bedrückt von seinem täglichen Selbstvorwurf, immer nur mit den eigenen Gespenstern Umgang gepflogen zu haben, erleichterte ihn nun der Anblick von Gespenstern, die objektiv zu werden drohten, bekannt auch einem anderen, und sei es dem Feind. Stürzte er sich in den Rachen des Löwen? Sicher, denn der Löwe, der da Gestalt annahm, war realer als Surabaya-Jim, realer vielleicht als Cecilia, vielleicht sogar als Lorenza Pellegrini.
Belbo, krank von so vielen verpassten Treffen, fühlte sich jetzt zu einem realen Treffen gerufen. Zu einem, vor dem er nicht einmal mehr aus Feigheit weglaufen konnte, denn er stand bereits mit dem Rücken zur Wand. Seine Angst zwang ihn, mutig zu sein. Erfindend hatte er das Realitätsprinzip geschaffen.
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Die Liste Nr. 5 – sechs Unterhemden, sechs
Unterhosen, sechs Taschentücher – hat den Forschern
seit je zu denken gegeben, besonders wegen des
völligen Fehlens von Socken.
Woody Allen, Getting even , New York, Random
House, 1966, »The Metterling List«
Zu der Zeit, es ist gerade erst einen Monat her, beschloss Lia, dass mir ein paar Wochen Urlaub guttun würden. Du siehst müde aus, sagte sie. Vielleicht hatte der Große Plan mich erschöpft. Außerdem brauchte das Kind, wie die Großeltern sagten, gute Luft. Freunde hatten uns ein kleines Haus in den Bergen überlassen.
Wir fuhren nicht sofort los. Es gab noch ein paar Dinge in Mailand zu erledigen, und dann meinte Lia, es gebe nichts Erholsameres als einen Urlaub in der Stadt, wenn man weiß, dass man hinterher wegfahren wird.
In den Tagen habe ich Lia zum erstenmal von dem Großen Plan erzählt. Vorher war sie zu sehr mit dem Kind beschäftigt gewesen; sie wusste nur vage, dass ich mit Belbo und Diotallevi an einer Art Puzzle saß, das uns ganze Tage und Nächte lang in Beschlag nahm, aber ich hatte ihr nichts mehr gesagt, seit sie mir damals ihre Predigt über die Psychose der Analogien gehalten hatte. Vielleicht schämte ich mich.
Jetzt aber, wo er fertig war, erzählte ich ihr den ganzen Plan bis in alle Einzelheiten. Sie wusste von Diotallevis Erkrankung, und ich fühlte mich irgendwie schuldig, als ob ich etwas getan hätte, was ich nicht durfte, und daher versuchte
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