Die historischen Romane
Befreiung von zahllosen uralten Obsessionen.
Ich schreibe (will sagen: bearbeite meine Rohübersetzung) ohne Präokkupationen um Fragen der Aktualität. In den Jahren, da ich den Text des Abbé Vallet entdeckte, herrschte die Überzeugung, dass man nur schreiben dürfe aus Engagement für die Gegenwart und im Bestreben, die Welt zu verändern. Heute, mehr als zehn Jahre danach, ist es der Trost des homme de lettres (der damit seine höchste Würde zurückerlangt), wieder schreiben zu dürfen aus reiner Liebe zum Schreiben. So fühle ich mich denn nun frei, aus schierer Lust am Fabulieren die Geschichte des Adson von Melk zu erzählen, und es erscheint mir stärkend und tröstlich, dass sie so unendlich fern in der Zeit ist (heute, da das Erwachen der Vernunft all jene Monster vertrieben hat, die ihr Schlaf einst zeugte), so herrlich frei von allen Bezügen zur Gegenwart, so zeitlos fremd unseren Hoffnungen und Gewissheiten.
Denn es ist eine Geschichte von Büchern, nicht von den Kümmernissen des Alltags, und ihre Lektüre mag uns dazu bewegen, mit dem großen Imitator a Kempis zu rezitieren: » In omnibus re quiem quaesivi, et nusquam inveni nisi in angulo cum libro.«
5. Januar 1980
* Liber aggregationis seu liber secretorum Alberti Magni, Londinium, juxta pontem qui vulgariter dicitur Flete brigge, MccccLxxxv.
** Les admirables secrets d'Albert le Grand, A Lyon, Chez les Héritiers Beringos, Fratres, à l'Enseigne d'Agrippa, MDCCLXXV; Secrets merveilleux de la Magie Naturelle et Cabalistique du Petit Albert , A Lyon, ibidem, MDCCXXIX.
*** Übersetzungen der lateinisch gegebenen Passagen finden sich sicherheitshalber in einem Anhang.
ANMERKUNG
Das Manuskript des Adson ist in sieben Tage gegliedert und jeder Tag in mehrere Abschnitte, die den liturgischen Stunden entsprechen. Die Kapitelüberschriften, in der dritten Person formuliert, sind wahrscheinlich von Abbé Vallet hinzugefügt worden. Doch da sie nützlich sind zur Orientierung des Lesers und im Übrigen keineswegs den Gebräuchen der Volksliteratur jener Zeit widersprechen, hielt ich es nicht für nötig, sie zu entfernen.
Einiges Kopfzerbrechen haben mir Adsons Bezugnahmen auf die kanonischen Stunden bereitet – nicht nur weil deren genaue Bestimmung je nach Regionen und Jahreszeiten schwankt, sondern auch weil man im 14. Jahrhundert die Vorschriften der Ordensregel des hl. Benedikt sehr wahrscheinlich nicht mehr allzu streng befolgt haben dürfte.
Unter Berücksichtigung des Kontexts und nach einem Vergleich der ursprünglichen Regel mit der Beschreibung des mönchischen Lebens, die Edouard Schneider in seinem Buch Les heures bénédictines (Grasset, Paris 1925) gegeben hat, scheint mir jedoch folgende Schätzung annähernd zuzutreffen:
Mette
(lat. Matutina , der Nachtgottesdienst, bei Adson zuweilen auch mit dem älteren Ausdruck Vigiliae bezeichnet) = frühmorgens zwischen 2.30 Uhr und 3.00 Uhr;
Laudes
(das Morgenlob, in der älteren Tradition Matutinae genannt) = zwischen 5.00 Uhr und 6.00 Uhr, so dass der Gottesdienst bei Anbruch der Dämmerung endet;
Prima
(die erste Stunde) = gegen 7.30 Uhr, kurz bevor es hell wird;
Tertia
(die dritte Stunde) = gegen 9.00 Uhr;
Sexta
(die sechste Stunde) = 12.00 Uhr mittags; in Klöstern, deren Mönche im Winter nicht auf den Feldern arbeiteten, war dies auch die Stunde des Mittagsmahls;
Nona
(die neunte Stunde) = zwischen 14.00 Uhr und 15.00 Uhr;
Vesper
(der Abendgottesdienst) = gegen 16.30 Uhr, bei Einbruch der Dämmerung (der Regel zufolge musste das Abendmahl eingenommen werden, bevor es dunkel war);
Komplet
(das Nachtgebet, auch Completorium genannt) = gegen 18.00 Uhr; um 19.00 Uhr hatten die Mönche zu schlafen.
PROLOG
I m Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und Gott war das Wort. Das Selbige war im Anfang bei Gott, und so wäre es Aufgabe eines jeden gläubigen Mönches, täglich das einzige eherne Faktum zu wiederholen, dessen unumstößliche Wahrheit feststeht. Doch videmus nunc per speculum in aenigmate, die Wahrheit verbirgt sich im Rätsel, bevor sie sich uns von Angesicht zu Angesicht offenbart, und nur für kurze Augenblicke (oh, wie so schwer zu fassende!) tritt sie hervor im Irrtum der Welt, weshalb wir ihre getreulichen Zeichen entziffern müssen, auch wo sie uns dunkel erscheinen und gleichsam durchwoben von einem gänzlich aufs Böse gerichteten Willen.
Dem Ende meines sündigen Lebens nahe, ergraut wie die Welt und in der Erwartung, mich bald
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