Die historischen Romane
durchschreiten, so dass der Raum sich wie durch Zauberei verdoppelte.
Garamond ließ uns vor seinem Schreibtisch Platz nehmen und war zugleich brüsk und herzlich. »Doktor Belbo hat mir viel Gutes von Ihnen erzählt, Doktor Casaubon. Wir brauchen tüchtige Mitarbeiter. Wie Sie gewiss begriffen haben, handelt es sich nicht um eine Festanstellung, die können wir uns nicht leisten. Sie erhalten eine angemessene Entschädigung für Ihren Eifer, für Ihre Hingabe, wenn Sie mir den Ausdruck gestatten, denn unsere Arbeit ist eine Mission.«
Er nannte mir eine Pauschalsumme für die veranschlagten Arbeitsstunden, die mir damals vernünftig erschien.
»Na bestens, lieber Casaubon.« Er hatte den Titel weggelassen, da ich nun in seinen Diensten stand. »Diese Geschichte der Metalle muss ganz prachtvoll werden, ich sage noch mehr, wunderschön. Populär, verständlich, aber wissenschaftlich exakt. Sie muss die Phantasie des Lesers packen, aber auf wissenschaftliche Weise. Ich gebe Ihnen ein Beispiel. Hier in den ersten Fahnen lese ich, dass es da diese Kugel von Magdeburg gab oder wie sie heißt, zwei zusammengefügte Halbkugeln, aus deren Innern die Luft abgepumpt wird, so dass ein Vakuum entsteht. Dann werden zwei starke Pferdegespanne davorgespannt, eins auf der einen und eins auf der anderen Seite, die mit aller Kraft eins nach der einen und eins nach der anderen Seite ziehen, und die beiden Halbkugeln bleiben zusammen. Gut, das ist eine wissenschaftliche Information. Aber die müssen Sie mir aus all den anderen, weniger pittoresken heraussuchen. Und wenn Sie sie herausgesucht haben, müssen Sie mir das passende Bild dazu finden, das Fresko, das Ölgemälde, gleichviel. Aus der Epoche. Und dann knallen wir's groß auf die ganze Seite, in Farbe.«
»Es gibt einen Stich«, sagte ich, »den kenne ich.«
»Sehen Sie? Bravo. Auf die ganze Seite, in Farbe.«
»Wenn's ein Stich ist, wird es schwarzweiß sein.«
»So? Na gut, also dann schwarzweiß. Exaktheit ist Exaktheit. Aber auf Goldgrund, es muss den Leser frappieren, es muss ihm das Gefühl geben, selber dabeigewesen zu sein, an jenem Tage in Magdeburg, als sie das Experiment gemacht haben. Klar? Wissenschaftlichkeit, Realismus, Leidenschaft! Man kann die Wissenschaft sehr wohl benutzen und den Leser trotzdem im Innersten packen. Gibt es etwas Theatralischeres, Dramatischeres als Madame Curie, die abends nach Hause kommt und im Dunkeln ein phosphoreszierendes Licht glimmen sieht, mein Gott, was mag das wohl sein ... Es ist der Kohlenwasserstoff, die Golkonda, das Phlogiston oder wie zum Teufel das heißt, und voilà, Marie Curie hat die Radioaktivität erfunden. Dramatisieren! Bei allem Respekt vor der Wahrheit.«
»Kommt denn die Radioaktivität bei den Metallen mit rein?« fragte ich.
»Ist das Radium kein Metall?«
»Ich glaube schon.«
»Na bitte. Unter dem Gesichtspunkt der Metalle kann man das ganze Universum des Wissens betrachten. Wie haben wir das Buch zu nennen beschlossen, Belbo?«
»Wir dachten an einen seriösen Titel, wie Die Metalle und die materielle Kultur .«
»Und seriös muss er auch sein. Aber mit jenem zusätzlichen Appeal, jenem Nichts, das alles sagt, warten Sie ... Ja, so: Universalgeschichte der Metalle . Sind da auch die Chinesen mit drin?«
»Ja, auch.«
»Also universal. Das ist kein Werbetrick, das ist die reine Wahrheit. Oder warten Sie, besser noch: Das wunderbare Abenteuer der Metalle .«
In diesem Augenblick kam die Signora Grazia herein und meldete, der Commendator De Gubernatis sei da. Garamond zögerte einen Moment und sah mich zweifelnd an, doch Belbo nickte ihm zu, wie um zu sagen, er könne sich nun mehr auf mich verlassen. Garamond ließ den Besucher eintreten und ging ihm entgegen. De Gubernatis kam im dunklen Zweireiher, hatte ein Abzeichen im Knopfloch, einen Füllfederhalter in der Brusttasche, eine gefaltete Zeitung in der Jackentasche und eine Mappe unter dem Arm.
»Mein lieber Commendatore, machen Sie sich's bequem, unser lieber Freund De Ambrosiis hat mir von Ihnen erzählt, ein Leben im Dienste des Staates. Und eine geheime poetische Ader, nicht wahr? Zeigen Sie, zeigen Sie mir den Schatz, den Sie da in Händen halten ... Hier stelle ich Ihnen zwei meiner Generaldirektoren vor.«
Er ließ ihn vor dem mit Manuskripten übersäten Schreibtisch Platz nehmen und streichelte mit vor Begierde zitternden Fingern den Umschlag des Werkes, das ihm vorgelegt wurde: »Nein, sagen Sie nichts, ich weiß bereits alles.
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