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Die historischen Romane

Die historischen Romane

Titel: Die historischen Romane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Umberto Eco
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Doktor Wagner.

 
    37
     
    Wer über vier Dinge nachgrübelt, der wäre besser
    nie geboren: was oben, was unten, was vorher und
    was nachher ist.
     
    Talmud , Chagigah 2.1
     
    Ich kam genau an jenem Vormittag zu Garamond, als Abulafia installiert wurde, während Belbo und Diotallevi sich in ihren Streit über die Namen Gottes verloren und Gudrun voller Argwohn die Männer beobachtete, die jenes beunruhigende neue Wesen zwischen die immer mehr verstaubenden Manuskriptestapel einfügten.
    »Setzen Sie sich, Casaubon, hier haben Sie die Pläne für diese unsere Geschichte der Metalle.« Wir blieben allein, und Belbo zeigte mir Inhaltsverzeichnisse, Kapitelentwürfe, Umbruchmuster. Ich sollte die Texte lesen und passende Illustrationen dazu finden. Ich nannte ihm einige Mailänder Bibliotheken, die mir gut ausgestattet schienen.
    »Das wird nicht genügen«, sagte Belbo. »Sie werden sich auch woanders umsehen müssen. Zum Beispiel in München, da gibt es im Deutschen Museum ein phantastisches Bildarchiv. Dann in Paris im Conservatoire des Arts et Métiers. Da würde ich gerne mal wieder hin, wenn ich Zeit hätte.«
    »Ist es schön?«
    »Beunruhigend. Der Triumph der Maschine in einer gotischen Kirche ... « Er zögerte, ordnete einige Papiere auf seinem Schreibtisch und sagte dann wie nebenbei, als fürchtete er, seiner Enthüllung zu viel Nachdruck zu geben: »Da ist das Pendel.«
    »Welches Pendel«?
    » Das Pendel. Es nennt sich Foucaultsches Pendel.«
    Er schilderte mir das Pendel, so wie ich es am Samstag gesehen hatte – und vielleicht hatte ich es am Samstag so gesehen, weil Belbo mich auf den Anblick vorbereitet hatte. Aber damals zeigte ich wohl nicht allzu viel Enthusiasmus, denn Belbo sah mich an wie einen, der angesichts der Sixtinischen Kapelle fragt, ob das alles sei.
    »Es ist vielleicht die Atmosphäre der Kirche, aber ich versichere Ihnen, man hat dort ein sehr starkes Gefühl. Der Gedanke, dass alles fließt und nur dort oben der einzige feste Punkt des Universums existiert ... Für einen, der keinen Glauben hat, ist das eine Art, zu Gott zurückzufinden, ohne dabei die eigene Ungläubigkeit in Frage zu stellen, denn es handelt sich um einen Nullpol. Wissen Sie, für Leute meiner Generation, die Enttäuschungen mittags und abends gefressen haben, kann das tröstlich sein.«
    »Enttäuschungen haben wir mehr gefressen, wir von meiner Generation.«
    »Überheblichkeit! Nein, für euch war's nur eine Saison, ihr habt die Carmagnole gesungen und euch dann in der Vendée wiedergefunden. So was geht schnell vorbei. Für uns ist es anders gewesen. Erst der Faschismus, auch wenn wir ihn nur als Kinder erlebt hatten, wie einen Abenteuerroman, aber die Unsterblichen Schicksale waren ein fester Punkt. Dann der feste Punkt der Resistenza, besonders für solche wie mich, die sie von außen betrachteten und einen Vegetationsritus daraus machten, die Wiederkehr des Frühlings, eine Tagundnachtgleiche oder Sonnwende, ich verwechsle das immer ... Dann für einige Gott und für andere die Arbeiterklasse, und für viele beides zugleich. Es war tröstlich für einen Intellektuellen, zu denken, es gäbe da noch die Arbeiter, schön, gesund, stark und bereit, die Welt neu zu schaffen. Und auf einmal, ihr habt's ja auch gesehen, waren die Arbeiter zwar noch da, aber die Klasse nicht mehr. Muss wohl in Ungarn umgebracht worden sein. Dann seid ihr gekommen. Für euch war's eine ganz natürliche Sache, vielleicht, und es war ein Fest. Für uns in meinem Alter nicht, für uns war's die Abrechnung, das schlechte Gewissen, die Reue, die Regeneration. Wir hatten versagt, und da kamt ihr mit eurem Enthusiasmus, eurem Mut, eurer Bereitschaft zur Selbstkritik. Für uns, die damals Mitte Dreißig oder Anfang Vierzig waren, war es eine Hoffnung, demütigend, aber eine Hoffnung. Wir mussten wieder so werden wie ihr, um den Preis, noch einmal von vorn anzufangen. Wir trugen keine Krawatten mehr, wir warfen den Trenchcoat weg, um uns einen gebrauchten Parka zu kaufen, manche kündigten ihre Stellung, um nicht mehr den Kapitalisten zu dienen ... «
    Er zündete sich eine Zigarette an und tat, als täuschte er Groll vor, um seine Bekenntnisse vor mir verzeihlich zu machen.
    »Und ihr seid auf allen Fronten zurückgewichen. Wir, mit unseren jährlichen Bußpilgerfahrten zu den Fosse Ardeatine, wir hatten uns geweigert, Werbeslogans für Coca-Cola zu erfinden, weil wir Antifaschisten waren. Wir begnügten uns mit den paar Kröten bei

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