Die Huren des Apothekers
aufsuchte.
Ausgiebig rumpelte sie mit der Kleidertruhe und quietschte mit den
Bettfedern, wobei sie ihr Oberkleid ablegte und ein schlichtes,
dunkles überzog. Lange Ärmel und ein hochgeschlossener Kragen
bedeckten den gesamten Körper, für die Hände suchte sie ein Paar
hauchfeiner Lederhandschuhe heraus und steckte die Haare unter eine
dunkle Haube. Ein Blick in den kleinen Spiegel überzeugte sie nicht.
Nein, weit entfernt von der kleinen Einbrecherin, die im Schutz der
Dunkelheit dem Kaiser das Bettlaken unter dem Hintern wegstahl –
wie die Waschweiber in Amorbach von der unbekannten Diebin tratschten
-, aber gut genug für einen harmlosen Ausflug. Sollte tatsächlich
jemand sie erwischen, musste sie sich eine passende Ausrede einfallen
lassen. Darum durfte sie nicht verlegen sein. Denn sie hatte ja
wirklich nichts Schlimmes vor, sie wollte sich nur umsehen. Nicht
mehr. Ehrlich.
Ob Lukas wusste, dass überall im Haus
Kleinigkeiten für ihre Zwecke versteckt lagen? Luzia öffnete die
wertvolle Bleiverglasung des Fensters und tastete unter der nächsten
Schieferschindel. Leicht rollte sich das darunter verborgene Seil ab
und endete knapp über dem Boden. Ein Schwung beförderte sie auf das
Fensterbrett, sie schlängelte sich hinaus auf das Dach. Gerade als
sie das Seil ergriff, steckte sie fest. Ein Lächeln erschien auf
ihrem Gesicht. Noch ein, zwei Wochen und sie bekäme ernsthafte
Schwierigkeiten, auf diesem Weg das Haus zu verlassen. Ein tiefer
Atemzug befreite sie und sie setzte alle Kraft ihrer Arme ein, um
sich am Seil zu halten und die Füße aus dem Fenster zu schwingen.
Der Rock behinderte sie, aber es gelang ihr auch ohne Hilfe der Füße,
sich am Seil herabzulassen. Fast zu spät dachte sie daran, den
Fensterflügel zu schließen, damit nicht schon auf den ersten Blick
ersichtlich war, wohin sie verschwand.
Unter ihren leichten Lederschuhen fühlte sich der
Boden weich an; auch hier hatten die Heinzelmännchen gehackt. Zum
Glück sank sie nicht weit ein und über Fußspuren musste sie sich
keine Gedanken machen. Immer wieder rief sie sich ins Gedächtnis:
Dies war ihr Heim, hier konnte sie aus dem Fenster klettern, wann
immer es sie gelüstete. Mochten die Angestellten und Nachbarn sie
für seltsam halten – verbieten konnte es ihr niemand.
Nichtsdestotrotz musste es nicht jeder mitbekommen.
In flinkem Trab erschien ihr der Weg zum Anbau der
Nachbarin nur noch einen Bruchteil der Strecke wie im gesitteten Gang
heute Nachmittag. Und noch immer konnte sie sich auf ihren
unfehlbaren Orientierungssinn verlassen. Luzia hatte nicht merklich
ihre Diebesfähigkeiten eingebüßt, wie sie mit nicht wenig Stolz
feststellte. Die schnelle Bewegung an frischer Luft bescherte ihr ein
Hochgefühl, dennoch nahm sie sich vor, besonders vorsichtig zu sein,
denn wenn es darauf ankam, war es möglich, dass ihr das
entscheidende Quäntchen an Geschick abhandengekommen war.
In den Fenstern des Haupthauses wanderte
Kerzenschein. Elße hatte gesagt, dass die Mädchen nachts in ihrem
Schlafsaal eingeschlossen waren, also konnte es nur Mechthild sein,
die alles vor der Nacht kontrollierte. Gut, dann befand sie sich
nicht im Anbau und hatte nicht von innen alle Riegel vorgelegt. Und
wo mochte sich der Apotheker aufhalten? Diese Nacht war er wegen der
Lieferung nicht nach Marburg zurückgekehrt. Arbeitete er im Haus
oder im Anbau? Egal. Anscheinend hütete das seltsame Ehepaar seine
Geheimnisse gemeinsam. Da würde der Mann sich nicht vor der Frau
verbarrikadieren, zumal das Schloss auch ohne die Riegel vor jedem
normalen Besucher Schutz gewährte.
Luzia kostete die Spannung bis zuletzt aus.
Willentlich zögerte sie, den schlundähnlichen Vorbau zu betreten
und den Dietrich in das Schloss der Tür zu stecken. Fast jedes
Bürgerhaus in all den Städten, in denen sie ihrem einstigen Gewerbe
nachgegangen war, hatte es ihr schwieriger gemacht. Hier schützte
man sich vor brutalen Räubern, nicht vor geschickten Einbrechern,
weshalb sie keine Schwierigkeiten erwartete. Nur kurz meldete sich
ihr Gewissen. Was würde Lukas sagen? Nun, er musste es nicht
erfahren. Niemand würde es erfahren. Kurzentschlossen führte sie
ihr Instrument ein und öffnete innerhalb eines Augenzwinkerns.
Gut geölt und lautlos schwang die
Tür vor ihr auf und kurz überkam sie das Gefühl, sich dem Rachen
eines Raubtiers auszuliefern. Luzia schluckte, dann tat sie den
ersten Schritt und zog die Tür wieder hinter sich zu. Absolute
Dunkelheit umgab
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