Die Huren des Apothekers
ausgefahrenen Geleise zeigten, dass es sich um
eine oft befahrene Straße handelte. Nur schienen sich mehr niedrige
Karren darauf zu bewegen als hohe Kutschen, denn das Geäst hing
tief.
»Wir gehen ein paar Schritte voraus«, rief sie
dem Kutscher zu, der nur mit einem Knurren antwortete.
Widerspruch lag in Magdalenes Miene, die furchtsam
Abstand zum Pferd suchte und dabei mit ihren Röcken im Unterholz
hängenblieb. Lächelnd löste Luzia die Ranken aus dem feinen Stoff
und führte ihre Schwägerin an der Hand auf den gebahnten Weg, wo es
sich einfacher gehen ließ. »Es duftet nach Pilzen«, stellte Luzia
fest.
»Ich frage die Nachbarin, ob eines der Mädchen
welche suchen kann.«
Das hatte Luzia nicht damit gemeint. Zuerst einmal
traute sie weder der Nachbarin noch ihren Schützlingen, und dann
liebte Luzia den Duft frischer Pilze, aber der Geschmack lag ihr
nicht so sehr. Sicher, im Falle einer Hungersnot kannte sie keinerlei
Bedenken, doch gerade jetzt genoss sie es, sich die Leckerbissen
heraussuchen zu können. Magdalene gab jedem von Luzias Gelüsten
bereitwillig nach und lobte sie sogar dafür, als ob das Kind besser
geriete, je mehr Begierden die werdende Mutter äußerte. Dabei sah
man Luzia bisher kaum etwas an. Sie schnürte das Mieder nicht mehr
so fest und trug weitere Röcke, aber bisher hatte nicht einmal die
Nachbarin etwas bemerkt, die doch ständig mit Schwangeren zu tun
hatte. Allerdings wandten sich die armen Dinger erst an sie, wenn der
geschwollene Leib alle Blicke auf sich zog.
»Luzia, muss es sein, dass wir uns auf dem Weg
abmühen?«
Mühe bedeutete es überhaupt nicht, den Geleisen
zu folgen. Zu Fuß vom Herrenhaus auf dem Lahnberg über den
Knüppeldamm den steilen Hang in die Stadt hinab zu wandern, das
nannte Luzia Mühe. Teilweise gelang es selbst ihr nur, mit Halt an
Büschen rückwärts laufend und auf jeden Schritt achtend das
Gelände zu bewältigen. Magdalene war ihr nur ein einziges Mal
gefolgt und beanspruchte seitdem jedes Mal einen der unfreundlichen
Kutscher der Nachbarin, wenn sie etwas besorgen wollte oder die
Kirche besuchte.
Ohne auf Magdalenes Unkenrufe zu achten,
marschierte Luzia geradeaus. Die ersten Blätter färbten sich gelb,
aber das Moos und die Kräuter am Wegesrand zeigten üppiges Grün.
Nur wenige Sonnenstrahlen durchbrachen das dichte Blättergewölbe
über ihnen, doch die hinterließen Wärme auf Luzias Gesicht.
Unzählige Düfte durchzogen den Wald, nach nur wenigen Schritten
jeweils ein anderer: Waldmeister, Tannengrün und Blumenduft. Auf
einmal stach anderes in Luzias Nase.
»Puh, hier ist etwas gestorben!« Auch Magdalene
bemerkte es.
Nun, das geschah oft im Wald. Einen Augenblick
dachte Luzia an Wölfe oder Bären, ein Schauer zog über ihren
Rücken. Nein, so dicht an der Stadt, auf einem oft befahrenen Weg
würde keine Gefahr drohen. Es sei denn, einer der berüchtigten
Räuber lauerte ihnen auf. Luzia zögerte. Man hörte wahre
Schauergeschichten. Vielleicht sollten sie sich besser nicht so weit
von der Kutsche entfernen?
Sei‘s drum, der Geruch wurde unangenehm. Luzia
schritt kräftiger aus, um dem Einfluss zu entrinnen, doch
anscheinend lag die Quelle der Ausdünstung direkt vor ihnen. Ein
sanfter Luftzug hielt ihnen entgegen und brachte den Odem des Todes
mit sich. Magdalene hielt den Ärmel vor die Nase und senkte das
Gesicht. Wenige Schritte vor ihnen krümmte sich der Weg; dort würden
sie aus dem Gestank herauskommen. Schon erkannte Luzia, dass sich der
Tunnel aus Laub zu einer Lichtung weitete. Das Sonnenlicht stach
ungefiltert schmerzhaft in ihre Augen. Blinzelnd schritt sie ins
Freie.
Ein Stoß von der Seite ließ sie mit
den Armen rudern, sie verlor fast ihr Gleichgewicht und stützte sich zuletzt an Magdalene ab. Die Schwägerin kreischte auf. Mit einer
Ha nd beschattete Luzia ihre Augen und
schaute sich erschrocken um. Rechts verschwand ein lebendes
Lumpenbündel im Gebüsch. Eine Bewegung vor ihnen zog ihren Blick
auf sich. Auch dort huschten Gestalten auseinander wie Ratten im
Fackelschein. Nur ein Schatten verschwand nicht. Von einem Galgen
baumelte in weiten Schwüngen ein Gehenkter.
Nach einer Schrecksekunde überzeugte Luzia sich,
dass keine Gefahr drohte, sie überwand sich und fasste Magdalene am
Arm. Mulmig strich sie ihrer Schwägerin über die Schulter. »Keine
Angst, niemand tut uns etwas.«
Magdalene schluckte, dann heftete sich ihr Blick
auf den Hingerichteten. Noch immer bewegte sich die Gestalt
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