Die Inquisition - Ketzerverfolgung in Mittelalter und Neuzeit
herausbildete und umgekehrt abweichende Meinungen unterdrückt wurden. Dabei ging es nach 311 z.B. um die Frage, ob die Gültigkeit eines Sakraments vom Gnadenstand des Spenders abhängig sei (Donatistenstreit) oder, noch grundsätzlicher, um verschiedene Auffassungen über das Wesen Christi. Gegen die Anhänger des alexandrinischen Presbyters Arius (gest. 336) fixierten die Konzilien von Nicaea (325) und Konstantinopel (381) das in Zukunft gültige Trinitätsdogma. Trotzdem sollte der Arianismus bei vielen germanischen Nachfolgereichen des 5. und 6. Jahrhunderts vorherrschend bleiben; für die mittelalterlichen Theologen Westeuropas wurde er zum Synonym für Glaubensabweichung schlechthin. Andere Spielarten der Ketzerei entsprangen nicht innerchristlichen Auseinandersetzungen, sondern eher einer Synthese von außer- und vorchristlichen Elementen mit der neutestamentlichen Botschaft. Einige frühchristliche Häresien übernahmen aus der synkretistischen Glaubensströmung der Gnosis das Postulat eines Dualismus zwischen dem guten und dem bösen Prinzip, einem guten, reinen und einem bösen (Schöpfer-)Gott, zwischen der materiellen, fleischlichen Welt und dem immateriellen Reich des Geistes. In dieser dualistischen Weltsicht wurzelte noch die mittelalterliche Bewegung der Katharer, von denen sich seit dem Beginn des 13. Jahrhunderts das Wort Ketzer ableiten sollte.
Terminologisch faßte man die Abweichung vom rechten Glauben jedoch klassisch mit dem stigmatisierenden Begriff «Häresie» (von griechisch
hairesis
: Wahl, Neigung). Er beinhaltet eine Verfälschung der ursprünglichen reinen Lehrmeinung durch die Heterodoxen. Häretiker, das waren in der Sicht derorthodoxen Kirche Menschen, die sich in verwerflicher Selbstüberschätzung ihre eigene Variante des Christentums schufen, sei es durch teuflische Verführung, sei es aufgrund moralischer Defekte. Vor allem zeichnen sich Häretiker durch ihre Hartnäckigkeit aus: Aus einem einfachen Irrtum wurde Ketzerei, wenn die Betroffenen gegen die Belehrungen der Amtsträger an ihrer Meinung festhielten. Dabei sahen schon die frühen Christen in den Häretikern eine Art notwendiges Übel, um die Zuverlässigen unter den Christen zu erkennen (1 Kor 11,19).
Seit dem zweiten Jahrhundert sind Auseinandersetzungen mit häretischen Personen und Strömungen bekannt. Das Bemühen um die Festigung rechtgläubiger Positionen begann mit Apologeten wie Irenäus von Lyon und Tertullian und kulminierte in den Werken der Kirchenväter, insbesondere des Augustinus. Praktische Maßnahmen gegen enttarnte Ketzer beschränkten sich in den Anfängen auf die bestehende Kleingruppe: Die Rechtgläubigen sollten sich abwenden und die Betroffenen so sozial isolieren. Bei Verweigerung der Bekehrung sollten die Häretiker aus der Gemeinde ausgeschlossen werden. Man befolgte damit den Rat des Apostels Paulus, sich nach ein- oder zweimaliger Warnung von Häretikern zurückzuziehen (Tit 3,10). Gleichzeitig sollte man sich und andere vor den Irrlehren schützen und sich um die Rückgewinnung der Häretiker bemühen.
Spätestens als das Christentum Staatsreligion geworden war, erlangte das Häresie-Problem eine neue Dimension: Es wurde zur potentiellen Gefahr auch für den römischen Staat. Durchaus in vorkonstantinischer Tradition sahen die nunmehr christlichen Herrscher in den Glaubensabweichlern eine Gefahr für die Einheit des Bekenntnisses in ihrem Herrschaftsbereich und einen Akt öffentlichen Aufruhrs, der als Majestätsverbrechen (
crimen laesae majestatis
) geahndet werden konnte. Das hatte Auswirkungen für das Verfahrensrecht wie für die Strafen. Beim Majestätsverbrechen wurde die Einhaltung vieler sonst streng vorgeschriebener Restriktionen nicht gefordert, indem hier etwa Unfreie oder schlecht Beleumundete als Zeugen auftreten konnten oder die Verteidigungsmöglichkeiten eingeschränkt wurden. Was die Strafen anging, so traten neben die Beschlagnahmungenvon Häusern und Kirchen, neben Versammlungsverbote, Verbannung, Bücherverbrennungen und Geldstrafen nun vor allem die Güterkonfiskation, die teilweise auch für die Erben galt, und natürlich auch die Todesstrafe. Bereits in die vorchristliche, diokletianische Zeit datiert dabei die Androhung des Feuertodes für die gnostische Strömung der Manichäer.
Neben dem weltlichen Herrscher kam vor allem dem Bischof als Vorsteher der Ortskirche die Fürsorgepflicht für Rechtgläubigkeit aller Christen in seinem Sprengel zu. Wegweisend für
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