Die Inquisition - Ketzerverfolgung in Mittelalter und Neuzeit
12. Jahrhunderts wuchs: Mit dem Bevölkerungswachstum entstanden neue Städte, die horizontale (räumliche) wie vertikale (soziale) Mobilität nahm zu. Vor diesem Hintergrund erhoben sich Wanderprediger wie Tanchelm von Antwerpen (gest. 1115), Peter von Bruis (gest. 1132/33) oder Arnold von Brescia (gest. 1155), die mit ihren Forderungen nach einer Verchristlichung der Lebensführung eine gewisse Massenbasis erobern konnten.
Ein Standardverfahren im Umgang mit Häretikern entwickelte sich auch in jener Zeit noch nicht. Nach dem Bericht des Abtes Guibert von Nogent (gest. 1124) wurden 1114 einige Ketzer in Soissons vom Bischof verhört und – weil sie leugneten – dem Gottesurteil des geweihten Wassers unterworfen. Dabei empfingen die Probanden die Kommunion und wurden in ein vorher exorziertes Gewässer geworfen. Weil das Wasser sie nicht annahm, sondern sie «wie ein Stock» schwammen, wurden sie inhaftiert. Eine Volksmenge lynchte die Ketzer, noch bevor eine Bischofssynode über ihr Schicksal entscheiden konnte, ein Vorgehen, das vom Chronisten als «gerechter Eifer» charakterisiert wird. Die beteiligten Geistlichen aber waren unsicher, welche Bestrafung die Ketzer verdienten. Auch der berühmte Zisterzienserabt Bernhard von Clairvaux (1090–1153) schwankte in seinen um 1145 entstandenen Ketzerpredigten noch zwischen Überzeugung und Zwang. Als Motto wählte Bernhard eine Zeile aus dem Hohen Lied (2,15), nach dem die kleinen Füchse, die die Weinberge verwüsten, gefangen werden sollen. Allegorisch könne man unter den Weinbergen die Kirchen, unter den Füchsen aber die Häretiker verstehen. Diese Füchse solle man zuerstmit Worten «fangen» und so für die Kirche zurückgewinnen. Wer sich indes nicht bekehren wolle, den solle man nach dem Rat des Apostels (Tit 3,10ff.) meiden. Unter den gegenwärtigen Umständen sei es jedoch angemessener, die Ketzer zu verjagen oder zu verbannen. In Anspielung auf den Kölner Lynchmord an einigen Katharern (vgl. Kap. III.1) mißbilligte er zwar den Glaubenszwang und riet zur Überzeugung, lobte jedoch ebenso wie Guibert den frommen Eifer der Täter und rechtfertigte in diesem Zusammenhang auch eine öffentliche Gewalt, die mit ihrem Schwert die Ketzer in die Schranken weise. Ein Jahrhundert später hatten sich die Gewichte zwischen Überzeugung und Zwang endgültig verschoben. Thomas von Aquin (1224–1274) vertrat in seiner um 1270 abgefassten «Summe» dezidiert die Auffassung, hartnäckige Ketzer seien dem weltlichen Gericht zur Bestrafung zu übergeben. Und dieses Gericht, das jeden Münzfälscher und andere Übeltäter mit dem Tode bestrafe, könne den Häretiker als einen größeren Verbrecher rechtmäßig töten. So werde das Unkraut herausgerissen, ohne den Weizen gleichermaßen zu beschädigen.
III. Die päpstliche Inquisition im Mittelalter
1. Vorgeschichte und Entstehung
Irritiert berichtet 1143 Everwin von Steinfeld, Abt des Eifler Prämonstratenserklosters Steinfeld, in einem Brief an Bernhard von Clairvaux von der Entdeckung einer kleinen Gruppe halsstarriger Häretiker in der Nähe von Köln. Eine eifrige Volksmenge habe sie gegen seinen Willen ergriffen und auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Everwins Bericht ist einer der frühesten Belege für das Auftreten einer neuen, mächtigen Häretikerbewegung in Westeuropa. Als Katharer (abgeleitet von griech.
katharos
, «rein»; manchmal auch von
catus
, lat. Katze) sollten sie in die Geschichte eingehen, wovon schließlich in der deutschen Sprache die stigmatisierende Fremdbezeichnung für alle Häretikerabgeleitet wurde: Ketzer. Die Eigenbezeichnung als «Arme Christi» (
pauperes Christi
) deutet auf ihr Selbstverständnis hin: Leben in der Nachfolge der Apostel, ohne Besitz. Andere Gebote und Gebräuche werden erst in späteren Quellen deutlicher faßbar: Ablehnung der meisten Sakramente, radikale Absage an Geschlechtsverkehr und Ehe, Verweigerung der Eidesleistung, Schärfung des Tötungsverbotes. Die kleine Zahl der «Vollkommenen» (
perfecti
) war diesem asketischen Ideal besonders verpflichtet, während die große Masse der «Gläubigen» (
credentes
) weniger rigorose Moralvorschriften zu befolgen hatte. Von der traditionellen christlichen Theologie weit entfernt erscheint die dualistisch angelegte Kosmologie und Theologie der Katharer, ihre strikte Entgegensetzung von reiner Seele und böser Welt, gutem Gott und dem Satan als dem höllischen Weltenschöpfer.
Wenn auch auf Dauer nicht im Rheinland, so
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