Die Inquisition - Ketzerverfolgung in Mittelalter und Neuzeit
1572 knapp heißen sollte: «Der Name der Inquisition soll für immer ausgelöscht werden.»
Zum Schlüsseltext für die Geschichte des Inquisitionsmythos wurde die 1567 unter dem Pseudonym Reginaldus Gonzalvus Montanus in Heidelberg publizierte Schrift über die
Heimlichkeiten der tyrannischen Spanischen Inquisition
. Wahrscheinlich von zwei protestantischen Religionsflüchtlingen spanischer Herkunft verfaßt, wurde das lateinische Werk binnen Jahresfrist ins Englische, Französische, Niederländische und Deutsche übersetzt und in den folgenden zwei Jahrhunderten eifrig exzerpiert und wiederaufgelegt. Vordergründig als Tatsachenbericht über den Ablauf von Inquisitionsverfahren von der Verhaftung bis zum Autodafé angelegt, bildete die Schrift zugleich eine Anklage gegen eine totalitäre Institution, die aus der Geheimhaltung ihre Macht schöpft. Zudem werden Redlichkeit und Heroismus der protestantischen Opfer gerühmt. Andere Textgattungen nahmen diese Vorgaben auf und entwickelten sie weiter. So figurierten die Inquisitionsopfer in den populären protestantischen Martyrologien des 16. Jahrhunderts von Matthias Flacius Illyricus oder John Foxe an prominenter Stelle. Später stellten Reise- und Augenzeugenberichte über die Aktivitäten der Inquisition eine Hauptquelle zur Verbreitung der Schwarzen Legende dar. Werke wie die
Relation de l’inquisition de Goa
des Franzosen Charles Dellon (1687/88) erfuhren weite Verbreitung und dienten noch Montesquieu und Voltaire als Informationsquelle.
Die Schwarze Legende steht mithin an der Wiege des modernen Inquisitionsmythos. Bis zu seiner vollen Blüte war es noch ein weiter Weg. Es bedurfte einer Übertragung bzw. Transformation auf die päpstlich-römische Inquisition und zugleich einer Erweiterung bzw. Akzentverlagerung auf das Mittelalter.Ansatzpunkte barg allerdings schon die Debatte des 16. Jahrhunderts. Protestantische Kampfschriften ließen sich die Chance nicht nehmen, den Papst als Quelle der Legitimation für die Spanische Inquisition in den Mittelpunkt zu rücken. Die neuerliche Aufrichtung einer römischen Inquisition bot hier einen willkommenen Anknüpfungspunkt, um die jeweiligen «Ketzerverfolgungen» in Europa nur als Ausfluß einer von der Kurie gelenkten Kampagne zu verstehen. Und mit der eigenen Traditionsbildung, die die mittelalterlichen Häretiker, etwa Wycliff, Hus oder die Waldenser, als Vorläufer der protestantischen Bewegung verstand, rückte zugleich auch die Inquisition als Verfolgungsinstanz in den Blickpunkt.
Aufklärung – Kunst – Historiographie: Im Zeitalter der Aufklärung wurde die Inquisition für Philosophen wie Pierre Bayle (1647–1706), Montesquieu (1689–1755) oder Voltaire (1694–1778) zum Synonym für religiöse Unterdrückung schlechthin. Seit dem 18. Jahrhundert nahmen sich zudem Kunst und Literatur des Themas an. Die Inquisition wird in Gemälden und Stichen illustriert; die Skizzen des spanischen Hofmalers Goya (1746–1828) sind eine subtile Anklage der Autodafés. Zahlreiche pittoreske Romane, romantische Novellen
(gothic novels)
und satirische Beschreibungen behandeln die Inquisition. Einige herausragende Werke prägen noch heute die kollektive Erinnerung. Der alte Großinquisitor in Schillers
Don Carlos. Infant von Spanien
verkörpert prototypisch Mitleidlosigkeit, religiöse Intoleranz und Machtstreben, ebenso die Titelgestalt der 1881 von Fjodor Dostojewski (1821–1881) veröffentlichten Novelle
Der Großinquisitor.
Diese Figur bildet den archetypischen Gegensatz zur Sanftmut und zur Mitmenschlichkeit des auf die Erde zurückgekehrten Jesus, der von der Inquisition eingekerkert und dessen Lehre verworfen wird. Die Inquisition nicht als Verteidigerin, sondern als Antipodin des Christentums – bis heute ein starkes Motiv!
Auch historiographische Bemühungen begleiteten die Inquisition seit dem 16. Jahrhundert. Neben Kritikern wie dem venezianischen Servitenmönch Paolo Sarpi (1552–1623) mit seinemWerk
Sopra l’officio dell’inquisizione
(1613) kamen auch Apologeten wie der sizilianische Inquisitor Ludovicus de Pàramo zu Wort, der in seiner Geschichte der Ketzerverfolgung (1598) Gott selbst als den ersten Inquisitor vorstellt, der Adam nach dem Sündenfall aus dem Paradies verwies. Die erste wirkliche Inquisitionsgeschichte stammte aus der Feder des Niederländers Philipp van Limborch (1633–1712). Seine
Historia Inquisitionis
von 1692 war epochenübergreifend angelegt und basierte auf einer
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