Die Inquisition - Ketzerverfolgung in Mittelalter und Neuzeit
jedoch gegen die neue Hexensekte vor. In Savoyen war es ein hoher weltlicher Gerichtsbeamter, der seit Ende der 1520er Jahre weit mehr als 200 Hexenprozesse angestrengt haben soll. Dieser Claude Tholosan verfaßte dann um 1440 ein Rechtstraktat, in dem er seinepraktischen Erfahrungen reflektierte. Bereits zuvor hatten einige Gelehrte in ihren Schriften über das Auftreten der neuen Hexensekten nachgedacht, darunter etwa der bekannte Dominikaner Johannes Nider in seinem
Formicarius
. Das territoriale Kraftzentrum der angesprochenen Gegend war das Herzogtum Savoyen mit dem tatkräftigen Herzog Amadeus VIII. an der Spitze, der eine aktive Moralpolitik betrieb, wie zahlreiche Statuten und Visitationsberichte bezeugen. 1439 wurde er auf dem Basler Konzil unter dem Namen Felix V. zum Papst gewählt. Dieses Konzil kann als ein entscheidender Katalysator bei der Herausbildung der gelehrten Hexentheorie betrachtet werden. Basel lag in der Nähe der damaligen Verfolgungszentren. Die meisten der Gelehrten, die über das Hexenwesen schrieben, waren dem Konzil eng verbunden: Das gilt für den erwähnten Johannes Nider ebenso wie für Martin Le Franc, der als persönlicher Sekretär des Papstes Felix V. in seinem 1440–1442 verfaßten literarischen Streitgespräch
Champion des Dames
ein plastisches Bild von den Anhängern der Hexensekte zeichnet. Auf dem Konzil, so können wir schlußfolgern, wurde unter den führenden theologischen Intellektuellen Europas heftig über die neue Hexensekte, die man in der Nachbarschaft aufgespürt hatte, diskutiert; nach Abschluß der Kirchenversammlung nahmen die Teilnehmer die alarmierenden Nachrichten über die neue Sekte mit nach Hause – effizientere Multiplikatoren sind zur damaligen Zeit kaum vorstellbar.
Die Hintergründe und Ursachen für die Entstehung der Hexenverfolgung sind schwer zu fassen. Tatsächlich gab es Hexen in dem imaginierten Sinne ja niemals, obwohl die Existenz geheimer Ketzergruppen ebenso außer Frage steht wie die Praktizierung vielfältigster Formen von Magie. Eine wichtige Rolle spielte erstens der moralische Impetus von Reformtheologen und weltlichen Obrigkeiten zur Purifizierung des Christentums, zur Abgrenzung gegenüber abergläubischen Praktiken und zur Ausrottung der Sünde. Insofern kann man die Hexenvorstellung als implizite Folge des im Spätmittelalter verstärkt einsetzenden Prozesses zur Selbstvergewisserung des Christentums ansehen. Krisenerfahrungen und Endzeiterwartungen mögenzweitens dazu beigetragen haben, die Angst vor den Umtrieben und dem Wachstum der teuflischen Hexensekte zu vermehren. Bei ihrer Bekämpfung bedienten sich alle Gerichtsinstanzen (und nicht nur die Ketzerinquisitoren) drittens in bisher unbekanntem Umfang des öffentlichen Strafrechts in Gestalt des Inquisitionsprozesses; dabei bestand eine erhöhte Gefahr, mittels vorgefertigter Fragekataloge (Interrogatorien) und peinlicher Frage (Tortur) diejenigen Aussagen zu erpressen, die der Richter erwartete. Von Beginn an eigneten sich die Hexenprozesse schließlich viertens auf vielfältige Weise zur Austragung gesellschaftlicher Konflikte und Feindschaften. Festzuhalten bleibt in unserem Zusammenhang, daß kirchliche Inquisitoren ebenso wie weltliche Gerichtsherren in den Städten und Territorien an der ersten Welle von Hexenverfolgungen beteiligt waren. Legitimation für eine solche plurale Zuständigkeit war die Vielgesichtigkeit des Hexereideliktes, das – je nach Interesse – eher als weltliches Verbrechen oder eher als eine antichristliche Häresie verstanden werden konnte.
Nach 1440 weiteten sich die Verfolgungen über das bisherige Kerngebiet weiter nach Norden und Osten aus. Auch daran waren verschiedene dominikanische Inquisitoren beteiligt. Der bekannteste und berüchtigste unter ihnen ist der Dominikaner Heinrich Kramer (Institoris) (1430–1505). Im März 1478 wurde er zum päpstlichen Inquisitor für ganz Oberdeutschland ernannt. Bereits drei Jahre zuvor war Bruder Heinrich am Ritualmordprozeß gegen die jüdische Gemeinde der Bischofsstadt Trient beteiligt gewesen; die Vorwürfe gegen die Juden (Ermordung kleiner Kinder, antichristliche Riten) sind mit denjenigen gegen die zauberischen Unholde verwandt. Anfang der 1480er Jahre inszenierte er Verfolgungskampagnen gegen die Hexen im Elsaß, am Oberrhein und im Bodenseeraum. Zudem gelang es ihm, in Gestalt der Bulle
Summis desiderantes affectibus
vom Dezember 1484 die Unterstützung des Papstes Innozenz VIII. zu
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