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Die Inquisition - Ketzerverfolgung in Mittelalter und Neuzeit

Die Inquisition - Ketzerverfolgung in Mittelalter und Neuzeit

Titel: Die Inquisition - Ketzerverfolgung in Mittelalter und Neuzeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C.H.Beck
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Inquisition
    Die Geschichte der Inquisition erscheint als ein Mythos, der für die Geburt des Abendlandes aus dem Geist von Zwang und Gewalt steht. So erfolgreich die Inquisition zeitweilig wirkte, so haben doch vor allem ihre Gegner ihr historisches Bild bestimmt. Zeit ihrer Existenz sah sich die Inquisition Widerstand und fundamentalem Widerspruch von verschiedensten Seiten ausgesetzt. Schon im Mittelalter sind wir auf Protest gegen vermeintlich rechtswidrige Übergriffe der Ketzerverfolger, auf Einsprüche der konkurrierenden weltlichen und kirchlichen Gewalten, auf ermordete Inquisitoren und verbrannte Akten gestoßen, die diesen Tatbestand zur Genüge belegen. Dieser Gegenwind wurzelt in strukturellen Eigenheiten kirchlicher Ketzerverfolgung: Das innovative Verfahren kollidierte mit dem traditionellen Rechtsempfinden vieler Menschen; die Sondergerichtsbarkeit der päpstlichen Legaten provozierte den Widerstand anderer Gerichtsinstanzen und ihrer Klientel; die Geheimhaltung des Verfahrens verstärkte den Ruch von Willkür und Korruption. Schließlich verkörperte die Inquisition mancherorts nicht nur eine neue, sondern auch eine fremde Institution; im Languedoc etwa stand sie für die Fremdherrschaft des Nordens über den vormals autonomen Süden. Bereits die mittelalterliche Inquisition besaß mithin das Potential, Gegenstand eines negativen Mythos zu werden. Nirgends zeigt sich das so deutlich wie in den Äußerungen des Franziskaners Bernard Délicieux, der 1303 in einer mitreißenden Rede vor dem französischen König proklamierte, das gesamte Langedoc sei beinahe völlig frei von Ketzerei, während die Inquisition stets neue Anschuldigungen erfinde. Selbst die heiligen Apostel Peter und Paul könnten, kehrten sie auf die Erde zurück, einer Ketzeranklage nicht entgehen – ein bemerkenswerter, früher Anklang an Dostojewski (vgl. Kap. III.2)!
    Im Mittelalter fehlten aber offenbar einige entscheidende Elemente für die Entstehung eines Inquisitionsmythos. Zum einen mangelte es an mehrheitsfähigen Gruppen, die als dauerhafte Träger eines solchen Mythos taugten. Mehr als eine zeitweilige regionale Dominanz entwickelte keine der mittelalterlichen Ketzergruppen, bevor sie entweder der entschlossenen Repression oder den eigenen Widersprüchen zum Opfer fielen. Umgekehrt blieb das Papsttum als Träger der Inquisition Leitbild der rechtgläubigen christlichen Mehrheitsgesellschaft. Schließlich fehlte es auch an Kommunikationsmedien zur Verbreitung eines negativen Mythos. Die ihrem Anspruch nach universale päpstliche Inquisition des Mittelalters stieß zwar vielfach auf regionalen Widerstand; aber die Opponenten waren nicht in der Lage, ein universales Feindbild hervorzubringen und zu verbreiten.
    Im 16. Jahrhundert änderten sich die Kräfteverhältnisse grundlegend. Während sich die Inquisitionen regionalisierten und so mit einzelnen Herrschern, politischen Systemen oder auch Ethnien identifiziert werden konnten, universalisierte sich in Gestalt des Protestantismus die Häresie. Diese Konstellation sollte bald, paradox genug, ein universales Inquisitions-Stereotyp hervorbringen. Eine Vorbedingung dafür war der Eintritt ins Gutenberg-Universum: Der Druck von Büchern und Flugblättern beförderte den Austausch von Wissen, aber auch von Propaganda, und er schuf eine überregionale Öffentlichkeit. Zweitens führte der Konfessionskonflikt zu einer dauerhaften inneren Spaltung des Christentums von bisher unbekannter Dimension. Entlang dieser Bruchlinie konnten sich neue Feindbilder und Stereotypen etablieren. Ein sehr wirkmächtiges Bild ist jene Schwarze Legende der spanischen Inquisition, die bis heute die Rezeption der Ketzerverfolgung geprägt hat. Es ist eine Ironie der Geschichte, daß davon eine Institution betroffen war, die ja gar nicht in erster Linie zum Kampf gegen den Protestantismus geschaffen worden war. Bezeichnend ist auch die Tatsache, daß die Spanische Inquisition mit ihren intensiven Verfolgungskampagnen gegen die
Conversos
in den ersten Jahrzehnten ihrer Existenz keineswegs jene europaweite Aufmerksamkeit auf sich zog, die sie später aufgrund der Verfolgungder – zahlenmäßig eher bescheidenen – spanischen Protestanten erregen sollte.
    Die «Schwarze Legende»: Der Begriff
leyendra negra
wurde 1913 vom Publizisten Julián Juderías y Loyot (1877–1918) geprägt, der damit die negativen Stereotype über Spanien und die Spanier bezeichnete, die in Europa seit dem 16. Jh. in Umlauf

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