Die Insel der roten Mangroven
Keensley hätte das nicht ausnutzen dürfen.
Quentin ließ die Blicke jetzt wütend und hilflos zwischen dem alten Schwarzen und der erschrockenen Deirdre hin- und herwandern.
»Wie redet der überhaupt?«, wandte er sich verwirrt an die junge Frau. »Das klingt ja, als … das klingt wie richtiges Englisch.«
Die meisten der aus Afrika verschleppten Sklaven sprachen die Sprache ihrer Herren nur gebrochen oder taten zumindest so,als wüssten sie sich nicht flüssig auszudrücken. Kwadwo und die anderen Sklaven auf Cascarilla Gardens verzichteten allerdings zumindest auf Letzteres, und die jungen Schwarzen hielt Nora Fortnam dazu an, in ganzen Sätzen zu sprechen. Kwadwo, der als junger Mann nach Jamaika gekommen war, hatte sich die Sprache schnell angeeignet. Seine früheren Herren durfte er das allerdings nie wissen lassen. Auch heute noch sprach er Pidgin, wenn Gäste kamen. Nur gegenüber Quentin hatte er sich eben vergessen.
»Kwadwo ist seit fünfzig Jahren hier«, gab Deirdre zurück und schaute ihren Kavalier böse an. Erst jetzt bemerkte Quentin ihre Empörung. »Da ist es ja wohl normal, dass er Englisch spricht. Aber Sie sollten sich schämen, alte Männer zu schlagen! Ich meine … junge Männer schlägt man natürlich auch nicht … Also, Sklaven überhaupt. Wobei Kwadwo kein Sklave ist, mein Vater hat ihm schon vor langer Zeit die Freiheit geschenkt. Kwadwo ist unser Busha. Und er gehört zur Familie!« Sie errötete leicht. »Also für mich ist er so was wie mein Großpapa …« Deirdre lächelte den alten Obeah-Mann verschwörerisch an.
Über Kwadwos Gesicht zog ein Strahlen. »Na, na, Missis, dafür bin ich wohl zu schwarz …«, wehrte er gutmütig ab, wohl wissend, dass Deirdres Großeltern väterlicherseits nicht weniger dunkelhäutig gewesen waren als er.
Aber Deirdre kam stark nach ihrer Mutter, und die Fortnams hängten ihre Abstammung nicht an die große Glocke. Sie galt als Noras und Dougs Kind – wenn über anderes getuschelt wurde, so nur unter der Hand. Wer die Geschichte damals nicht mitbekommen hatte, bezweifelte denn auch oft den Wahrheitsgehalt dieses Geredes.
»Du bist genau richtig, Kwadwo!« Deirdre lachte. »Hast du dir wehgetan?«
Sie wies auf seine Hand und ließ sich aus dem Sattel gleiten.Quentins Angebot, ihr dabei Hilfestellung zu leisten, übersah sie geflissentlich.
Der Stallmeister schüttelte den Kopf, wobei er die langen Kräusellocken seiner Perücke in lebhafte Schwingungen versetzte.
»Aber nein, Missis. Ich hab schwielige, unempfindliche Hände … so wie du … wie Sie bald auch, wenn Sie nicht endlich Handschuhe anziehen beim Reiten …«
Wahrscheinlich hätte Kwadwo seine Schimpftirade gleich wieder aufgenommen, wäre jetzt nicht der Wagen der Warringtons die Auffahrt heraufgekommen. Kwadwo rief rasch nach ein paar Stallburschen, die Alegría und Keensleys Braunen in die Ställe führten, während er selbst sich um die Gäste bemühte.
»Mrs. Warrington, Backra Lord Warrington!« Kwadwo vollführte seine berühmte Verbeugung. »Willkommen auf Cascarilla Gardens! Sie gehabt gute Reise? Nicht zu heiß ohne Dach von Kutsche? Jimmy, Nichtsnutz, nicht hast gedacht, dass deine Missis sich wird verderben Teint bei Sonne …«
Deirdre lächelte, als sie sah, dass Quentin missmutig guckte. Kwadwo spielte erneut virtuos seine Rolle, aber Quentin schien die Komik darin nicht zu sehen. Überhaupt, dieser Quentin Keensley … Deirdre schüttelte den Kopf über ihre eigene Dummheit. Wie hatte sie sich mit ihm abgeben können! Sie schenkte ihm keinen Blick mehr, als er sie jetzt zum Haupthaus begleitete. Auf einen aufgeschlossenen, klugen Begleiter hatte sie gehofft, als er von seinen Europareisen erzählt hatte. Aber jetzt erwies er sich doch nur als aufgeblasener kleiner Zuckerbaron: Immer schnell mit der Peitsche bei der Hand, wenn ein Sklave sich nicht wehren konnte. Jederzeit bereit, alle Menschen mit schwarzer Haut für dumm zu halten.
Und anständig reiten konnte er auch nicht!
KAPITEL 2
N ora Fortnam stand vor den Empfangsräumen bereit, die Gäste zu begrüßen und wirkte ebenso verärgert wie erleichtert, als Deirdre endlich hereinschlüpfte. Ihre Tochter schaute denn auch entsprechend schuldbewusst. Ohne Keensleys Begleitung hätte sie wahrscheinlich den Kücheneingang gewählt, um schnell und ungesehen ins Haus zu kommen, aber mit dem Kavalier ging das natürlich nicht – an die grundlegenden Regeln der Etikette hielt sich zum Glück auch
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