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Honky Tonk Pirates - Der letzte Horizont: Band 6 (German Edition)

Honky Tonk Pirates - Der letzte Horizont: Band 6 (German Edition)

Titel: Honky Tonk Pirates - Der letzte Horizont: Band 6 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joachim Masannek
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Träume sterben mit der Nacht

    ill hörte die Schreie der Möwen und erinnerte sich an die Schwalben in Berlin, wenn sie, den Frühsommerwind unter den Schwingen, um den Turm der Domkuppel schossen. Doch vor wie vielen Jahren war das gewesen?
    Dort auf der Domkuppel in ihrem geheimen Versteck über den Dächern Berlins hatte alles begonnen. Will hieß noch Willfried Zacharias Carl Otto Stupps. Er war damals gerade vierzehn geworden. Und Jo war erst zehn Jahre alt.
    »Regentropfen-fallen-auf-dich-kleiner-genialer-Erfinder-Jo.«
    So hatte Will seinen besten Freund mit den ängstlichen Augen im kohlrabenschwarzen Gesicht immer schmunzelnd genannt. Sie hatten sich in die Rundbogenfenster des Turms auf der Spitze der Domkuppel gesetzt und dort hatte er Jo dann Geschichten erzählt. Kühne Geschichten von kühnen Piraten, die die Welt befreien wollten. Befreien vom Krieg, der um Berlin herum tobte. Und von ihrem bösen Tyrannen: dem Freiherrn von Eulenfels, der in der Stadt herrschte und sie für die Menschen, die in ihr lebten, zu einer Hölle auf Erden machte. Eulenfels, der Will jagte, ihn fing und ihn zusammen mit Jo sogar aufhängen wollte.
    Doch Wills Geschichten waren stärker gewesen. Stärker und besser. Denn sie waren seine Träume. Ehrliche Träume, von Herzen geträumt. Träume von Freiheit, von Frieden und … Ja, und mit der Kraft dieser Träume waren sie dem Galgen entkommen. Sie hatten Freunde gefunden: Moses Kahiki, den Chevalier du Soleil, den Freigeist und Spinner. Rachel und Sarah, die kleinen Mädchen, und ihren Vater Feuerkopf Finn. Die echten Piraten aus Old Nassau, den Windschiefen Cutter, Ratten-Eis-Fuß und Blind Black Soul Whistle, ihren Käpten. Den alten O’Brien aus New York und die Roten Korsaren, die Straßenkinder aus Berlin. Salome und Ophelia, die einstigen Gespielinnen des Tyrannen, und natürlich die atemberaubende Honky Tonk Hannah, die größte Piratin, die es je gab. Ja, und nicht zu vergessen, den undurchschaubaren Nat, der Waldläufer war und Käpten des Bisons.
    Sie hatten das Schiff aller Schiffe, den Fliegenden Rochen, aus Nassau befreit. Sie hatten das Vergessene Volk und deren Insel gerettet. Sie hatten den Ring der Witwe Chen, der seinen Träger unbesiegbar macht, geraubt und beschützt Sie hatten gegen Mohawks gekämpft, gegen Tausende Mohawks. Will hatte den Tanz mit dem Teufel bestanden. Auf der Insel Rum Bottle Bottom hatte er sich dem Test der Hexe Jay-Nice-Jo-Pi-Lin gestellt und war so erwachsen geworden. Er hatte für Honky Tonk Hannah gekocht, mit ihr in Mitsommernachtsseidenschleiern geschlafen, und sie hatten danach – zum wievielten Mal? – die Hölle besiegt: Talleyrand und Prinz Gagga und ihre fünf Monster. Die Valas-Schwestern. Riesige Schlangen, Vorboten der Hölle, die schon immer versteckt unter Old Nassau lag. Jo war trotz seiner Angst zum Helden geworden, und das versteinerte Herz von Blind Black Soul Whistle, dem alten Piraten, hatte wieder zu schlagen begonnen. Im Sterben hatte es sein Gefängnis gesprengt, und dann hatte Whistle Will gebeten, den Bund zu schließen, der die Welt retten sollte.
    Den Bund mit Hannah: Honky Tonk Hannah. Eine Liebeshochzeit zwischen Piraten, die sich gegenseitig nicht über den Weg trauen durften. Die sich bei jeder Gelegenheit berauben, verraten oder übervorteilen wollten. Das wäre ein richtiges Wunder gewesen.
    Und mit diesem Gedanken wachte Will auf.
    Er hörte die Möwen. Er spürte das Schaukeln der beiden Rümpfe des stolzen Seeräuberkatamarans, des Fliegenden Rochens, und mit den ersten Sonnenstrahlen, die sich ihren Weg hinter die verdunkelten Fenster suchten, vernahm er plötzlich Hannahs Gesang. Rau und glasklar und verwegen und glücklich. Will musste schmunzeln. Nein, er lächelte stolz. So stolz wie man es nur als Mann sein kann. Und deshalb vermochte selbst der Schmerz in seiner Brust dieses Lächeln nicht zu vertreiben, als er sich – nach wie vielen Tagen? – endlich aus dem Bett erhob.
    Will strich mit der Hand über den weißen Verband. Er erinnerte sich an den stechenden Schmerz, das Verbrennen von Fleisch, als sich Talleyrands Kugel knapp unterhalb des Schlüsselbeins in seinen Körper bohrte. Und dann sprangen sie auch schon. Han nah und er sprangen von den im Todeskampf zuckenden Leibern der riesigen Schlangen, der Schwestern von Valas ins rettende Meer, wo Nat und sein Schiff schon auf sie warteten. Er sah, wie Hannah neben ihm lachte, während sie auf die Wellen zu flog. Sie strahlte ihn an.

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