Die Insel des Magiers
hat!«
Sein Grinsen wurde schief. »Dein verhätscheltes Söhnchen. Ich frage mich, was für ein Mann aus ihm werden würde, wenn ein Leben wie meines sein Los gewesen wäre statt Luxus, Gepäppel und einer vornehmen Dame wie dir als Mutter.«
»Du wirst ihm nichts tun!« Jetzt rang sie aus Leibeskräften, um von ihm loszukommen, doch er war viel zu stark. Als sie schließlich abgekämpft war, ließ Kaliban ihr Handgelenk los. Blaßrote Abdrücke blieben auf der Haut zurück.
»Nur dich, Miranda, habe ich gesucht.« Er sagte es, als wäre er ein wenig beleidigt. »Da dein Vater meiner Gerechtigkeit entgangen ist, bist du es, die meine Worte anhören muß.«
»Worte. Ständig redest du von…«
»Das war das Geschenk, das dein Vater mir machte. Und auch der Fluch, der mir zum Verderben wurde, der mich ins Unglück stürzte. Es dauert noch Stunden, bis der Wächter kommt – ach was, Äonen.
Eine Ewigkeit. Diese Zeit gehört mir, Miranda. Jetzt wirst du die ganzen Worte zurückbekommen: Bevor ich dich töte, wirst du meine Geschichte anhören… und du wirst wissen, was du getan hast.«
»Aber…«
»Still!« Er brüllte so laut, daß beide in der hallenden Stille danach einen Augenblick lang erwartungsvoll lauschten. Dann kicherte Kaliban. »Siehst du? Niemand kommt uns stören. Dein Wächter ist bewußtlos, das Haus schläft. Dein Mann hält sich in einer anderen Stadt auf – nichts Besonderes, wie ich höre. Bestimmt stellt er seine Mächtigkeit vor einigen seiner ergebensten Untertanen zur Schau.« Wieder bleckte er die breiten Zähne. »Wahrhaftig, Miranda, alle scheinen heute nacht jemand anders zu haben. Deine Zofe Amelia empfängt ihren Freier, einen Soldaten. Ich zweifle nicht daran, daß du in der Sache ein Auge zudrückst – junge Liebe ist etwas Entzückendes, nicht wahr? Und wir sind auch ein Paar, wir beide. Deshalb wirst du mich anhören, selbst wenn ich dich mit groben Händen anfassen muß, damit du auch wirklich gut aufpaßt.«
Er erhob sich in seiner ganzen drohenden Massigkeit, dunkel bis auf den Glanz seiner Augen.
»Du wirst jetzt zuhören, Miranda. Du wirst den Ton meines geheimen Herzens hören, bevor ich dich vernichte. Und ehe du in die Dunkelheit entschwindest, wirst du genau wissen, was du getan hast. Du wirst zuhören… «
ZWEITER TEIL
Die Erzählung des Ungeheuers
Ein Mund voller Worte
Was soll ich sagen, Miranda, jetzt, wo die Zeit gekommen ist, was soll ich dir erzählen? Wie? Was? Wo anfangen? So lange ist mein Mund verschlossen gewesen; jetzt muß alles auf einmal heraus. Die Worte in meinem Innern lassen sich nicht mehr zurückhalten, und du bist es, die den Sturzbach über sich ergehen lassen muß. Ich kann dir nicht versprechen, daß seine reißende Gewalt dich nicht ertränken wird.
Da, siehst du? Das ist eines der Hauptverbrechen, die ich dir und deinem Vater zur Last lege… vor allem deinem Vater. Ihr zwei habt mir ein Geschenk gebracht, wenigstens hielt ich es für eines, ein leuchtendes Ding gleich einer einladenden Frucht, die man einem Verhungernden vor die Nase hält: Ihr habt mich gelehrt, daß alle Dinge Namen haben. Euer Geschenk an mich waren Worte – Sprache. Doch es war eine vergiftete Frucht, dieses Benennen der Dinge, denn zugleich mit Sprechen lernte ich Lügen.
Täuschungen, Schliche, Doppelbödigkeiten – und wie du siehst, verstehe ich mich inzwischen auch darauf. Denn es gibt keinen reißenden Sturzbach, nur eine Geschichte, die ich erzählen will. Ein Bach ist ein Bach, naß, rauschend, die Heimat von Fischen und schwirrenden Fliegen und darüber hinweggleitenden Wasserkäfern. Er besteht nicht aus Worten, ja, seine Schönheit liegt zum großen Teil darin, daß er mit Worten überhaupt nichts zu schaffen hat. Aber dein Vater mit seinem wuchernden Krebsgeschwür der Sprache – da, du bist Zeuge, daß ich seinen lügnerischen Vergleichen immer noch verfallen bin –, dein Vater hat zuerst alle Dinge benannt und ihnen dann den Sinn genommen.
Bevor ihr kamt, lebte ich in einer Welt sicherer, fester Wahrheiten, Miranda. »Tierisch« nennt euresgleichen diese Welt, diese Lebensweise, aber mein Eindruck ist ein anderer. Ich habe jetzt eure Städte gesehen, die wimmelnden Straßen und Häfen, in denen bleiche Menschen dahinhasten wie Termiten in einem gespaltenen Baumstamm. Bei solchen eng zusammengedrängten Massen, wo jeder in einer Stunde tausend kleine Lügen sagt, wo jeder Atemzug, jeder Blick eine Lüge ist –
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